Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Den folgenden Tag kam sie zu mir, und traf mich, weil ich sie erwartete, mit Landkarten umgeben an. Solche Dinge hatte sie nie gesehen. Wir suchten unzähliche Städte auf; von mancher las ich ihr die Beschreibung vor, von manchen Ländern erzählte ich ihr kleine Geschichten; und so blieb sie gesund, und begab sich mit diesen neuen Entdeckungen, in Gedanken beschäftigt, vergnügt zur Ruhe. Wäre ich mein eigner Herr gewesen, so würden, wie ich glaube, stete Zerstreuungen der Gedanken, die ich ihr hätte machen wollen, sie wieder völlig hergestellt haben, wenn ich sie zu mir ins Haus hätte nehmen können. ![]() II. Einfluß äußrer Umstände auf die Krankheiten der Seele. ![]() Magister Fr -- -- der jüngste Sohn eines wohlhabenden Rathsherrn zu -- -- war zwei Jahre auf der Universität ziemlich fleißig gewesen, als er, auf Anstiften einer verheuratheten Schwester, welche glaubte, das Studiren kostete zuviel,
Den folgenden Tag kam sie zu mir, und traf mich, weil ich sie erwartete, mit Landkarten umgeben an. Solche Dinge hatte sie nie gesehen. Wir suchten unzaͤhliche Staͤdte auf; von mancher las ich ihr die Beschreibung vor, von manchen Laͤndern erzaͤhlte ich ihr kleine Geschichten; und so blieb sie gesund, und begab sich mit diesen neuen Entdeckungen, in Gedanken beschaͤftigt, vergnuͤgt zur Ruhe. Waͤre ich mein eigner Herr gewesen, so wuͤrden, wie ich glaube, stete Zerstreuungen der Gedanken, die ich ihr haͤtte machen wollen, sie wieder voͤllig hergestellt haben, wenn ich sie zu mir ins Haus haͤtte nehmen koͤnnen. ![]() II. Einfluß aͤußrer Umstaͤnde auf die Krankheiten der Seele. ![]() Magister Fr — — der juͤngste Sohn eines wohlhabenden Rathsherrn zu — — war zwei Jahre auf der Universitaͤt ziemlich fleißig gewesen, als er, auf Anstiften einer verheuratheten Schwester, welche glaubte, das Studiren kostete zuviel, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0033" n="33"/><lb/> merksamkeit so unterhalten ward, daß sie sich des Abends ganz gesund schlafen legte. </p> <p>Den folgenden Tag kam sie zu mir, und traf mich, weil ich sie erwartete, mit Landkarten umgeben an. Solche Dinge hatte sie nie gesehen. Wir suchten unzaͤhliche Staͤdte auf; von mancher las ich ihr die Beschreibung vor, von manchen Laͤndern erzaͤhlte ich ihr kleine Geschichten; und so blieb sie gesund, und begab sich mit diesen neuen Entdeckungen, in Gedanken beschaͤftigt, vergnuͤgt zur Ruhe. </p> <p>Waͤre ich mein eigner Herr gewesen, so wuͤrden, wie ich glaube, stete Zerstreuungen der Gedanken, die ich ihr haͤtte machen wollen, sie wieder voͤllig hergestellt haben, wenn ich sie zu mir ins Haus haͤtte nehmen koͤnnen. </p> <closer> <signed> <hi rendition="#right"> <persName ref="#ref0064"><note type="editorial">Reiske, Ernestine Christiane</note>Ernestine Christiane Reiske.</persName> </hi> </signed> </closer><lb/> </div> <div n="3"> <head><hi rendition="#aq">II</hi>. Einfluß aͤußrer Umstaͤnde auf die Krankheiten der Seele.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref64"><note type="editorial"/>Reiske, Ernestine Christiane</persName> </bibl> </note> <p>Magister Fr — — der juͤngste Sohn eines wohlhabenden Rathsherrn zu — — war zwei Jahre auf der Universitaͤt ziemlich fleißig gewesen, als er, auf Anstiften einer verheuratheten Schwester, welche glaubte, das Studiren kostete zuviel,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0033]
merksamkeit so unterhalten ward, daß sie sich des Abends ganz gesund schlafen legte.
Den folgenden Tag kam sie zu mir, und traf mich, weil ich sie erwartete, mit Landkarten umgeben an. Solche Dinge hatte sie nie gesehen. Wir suchten unzaͤhliche Staͤdte auf; von mancher las ich ihr die Beschreibung vor, von manchen Laͤndern erzaͤhlte ich ihr kleine Geschichten; und so blieb sie gesund, und begab sich mit diesen neuen Entdeckungen, in Gedanken beschaͤftigt, vergnuͤgt zur Ruhe.
Waͤre ich mein eigner Herr gewesen, so wuͤrden, wie ich glaube, stete Zerstreuungen der Gedanken, die ich ihr haͤtte machen wollen, sie wieder voͤllig hergestellt haben, wenn ich sie zu mir ins Haus haͤtte nehmen koͤnnen.
Ernestine Christiane Reiske.
II. Einfluß aͤußrer Umstaͤnde auf die Krankheiten der Seele.
Magister Fr — — der juͤngste Sohn eines wohlhabenden Rathsherrn zu — — war zwei Jahre auf der Universitaͤt ziemlich fleißig gewesen, als er, auf Anstiften einer verheuratheten Schwester, welche glaubte, das Studiren kostete zuviel,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/33>, abgerufen am 18.07.2024. |