Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch bin dadurch in der Ueberzeugung bestärkt worden, daß man schwermüthigen Leuten nicht wiedersprechen, sondern nur ihre Aufmerksamkeit gleichsam, als von ungefähr, auf etwas ihnen neues zu richten suchen muß.

Z.B. Bei einer Jungfer, die täglich des Nachmittags, bis in die späte Nacht, seltsame Anfälle von Wahnsinn hatte, zeigten ein paar Worte aus Youngs Nachtgedanken, die ich ihr zuweilen vorsagte, mehr Wirkung, als wenn ihr Geistliche und andere gute fromme Leute, die trostreichsten Sprüche aus der Bibel oder Liederverse vorsagten. Sie fühlte das selbst, legte es aber aus Liebe zu mir so aus, als ob mein Zureden, meiner ganz vorzüglichen Frömmigkeit wegen, eine so grosse Kraft habe.

Zwei Tage nach einander machte ich den Versuch, ihre wunderbaren Anfälle aufzuhalten, und er gelang mir. Den ersten Tag ging ich, gleich nach dem Mittagsessen, zu ihr, brachte das Gespräch auf die Verfassung des Weltgebäudes, von welcher sie nie etwas gehört hatte. -- Als sie sehr begierig ward mehr davon zu wissen, nahm ich Feder und Dinte, und machte ihr viele Astronomische Zeichnungen, vielleicht nicht eine richtige, doch das that zur Sache nichts. Drauf machte ich ihr Begriffe vom Bauen unter dem Wasser, und von mancherlei andern Dingen, wodurch ihre Auf-


Jch bin dadurch in der Ueberzeugung bestaͤrkt worden, daß man schwermuͤthigen Leuten nicht wiedersprechen, sondern nur ihre Aufmerksamkeit gleichsam, als von ungefaͤhr, auf etwas ihnen neues zu richten suchen muß.

Z.B. Bei einer Jungfer, die taͤglich des Nachmittags, bis in die spaͤte Nacht, seltsame Anfaͤlle von Wahnsinn hatte, zeigten ein paar Worte aus Youngs Nachtgedanken, die ich ihr zuweilen vorsagte, mehr Wirkung, als wenn ihr Geistliche und andere gute fromme Leute, die trostreichsten Spruͤche aus der Bibel oder Liederverse vorsagten. Sie fuͤhlte das selbst, legte es aber aus Liebe zu mir so aus, als ob mein Zureden, meiner ganz vorzuͤglichen Froͤmmigkeit wegen, eine so grosse Kraft habe.

Zwei Tage nach einander machte ich den Versuch, ihre wunderbaren Anfaͤlle aufzuhalten, und er gelang mir. Den ersten Tag ging ich, gleich nach dem Mittagsessen, zu ihr, brachte das Gespraͤch auf die Verfassung des Weltgebaͤudes, von welcher sie nie etwas gehoͤrt hatte. — Als sie sehr begierig ward mehr davon zu wissen, nahm ich Feder und Dinte, und machte ihr viele Astronomische Zeichnungen, vielleicht nicht eine richtige, doch das that zur Sache nichts. Drauf machte ich ihr Begriffe vom Bauen unter dem Wasser, und von mancherlei andern Dingen, wodurch ihre Auf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0032" n="32"/><lb/>
            <p>Jch bin dadurch in der Ueberzeugung besta&#x0364;rkt worden, daß man schwermu&#x0364;thigen Leuten                   nicht wiedersprechen, sondern nur ihre Aufmerksamkeit gleichsam, als von ungefa&#x0364;hr,                   auf etwas ihnen neues zu richten suchen muß. </p>
            <p>Z.B. Bei einer Jungfer, die ta&#x0364;glich des Nachmittags, bis in die spa&#x0364;te Nacht,                   seltsame Anfa&#x0364;lle von Wahnsinn hatte, zeigten ein paar Worte aus <choice><corr>Youngs</corr><sic>Yungs</sic></choice> Nachtgedanken, die                   ich ihr zuweilen vorsagte, mehr Wirkung, als wenn ihr Geistliche und andere gute                   fromme Leute, die trostreichsten Spru&#x0364;che aus der Bibel oder Liederverse vorsagten.                   Sie fu&#x0364;hlte das selbst, legte es aber aus Liebe zu mir so aus, als ob mein Zureden,                   meiner ganz vorzu&#x0364;glichen Fro&#x0364;mmigkeit wegen, eine so grosse Kraft habe. </p>
            <p>Zwei Tage nach einander machte ich den Versuch, ihre wunderbaren Anfa&#x0364;lle                   aufzuhalten, und er gelang mir. Den ersten Tag ging ich, gleich nach dem                   Mittagsessen, zu ihr, brachte das Gespra&#x0364;ch auf die Verfassung des Weltgeba&#x0364;udes,                   von welcher sie nie etwas geho&#x0364;rt hatte. &#x2014; Als sie sehr begierig ward mehr davon zu                   wissen, nahm ich Feder und Dinte, und machte ihr viele Astronomische Zeichnungen,                   vielleicht nicht eine richtige, doch das that zur Sache nichts. Drauf machte ich                   ihr Begriffe vom Bauen unter dem Wasser, und von mancherlei andern Dingen, wodurch                   ihre Auf-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0032] Jch bin dadurch in der Ueberzeugung bestaͤrkt worden, daß man schwermuͤthigen Leuten nicht wiedersprechen, sondern nur ihre Aufmerksamkeit gleichsam, als von ungefaͤhr, auf etwas ihnen neues zu richten suchen muß. Z.B. Bei einer Jungfer, die taͤglich des Nachmittags, bis in die spaͤte Nacht, seltsame Anfaͤlle von Wahnsinn hatte, zeigten ein paar Worte aus Youngs Nachtgedanken, die ich ihr zuweilen vorsagte, mehr Wirkung, als wenn ihr Geistliche und andere gute fromme Leute, die trostreichsten Spruͤche aus der Bibel oder Liederverse vorsagten. Sie fuͤhlte das selbst, legte es aber aus Liebe zu mir so aus, als ob mein Zureden, meiner ganz vorzuͤglichen Froͤmmigkeit wegen, eine so grosse Kraft habe. Zwei Tage nach einander machte ich den Versuch, ihre wunderbaren Anfaͤlle aufzuhalten, und er gelang mir. Den ersten Tag ging ich, gleich nach dem Mittagsessen, zu ihr, brachte das Gespraͤch auf die Verfassung des Weltgebaͤudes, von welcher sie nie etwas gehoͤrt hatte. — Als sie sehr begierig ward mehr davon zu wissen, nahm ich Feder und Dinte, und machte ihr viele Astronomische Zeichnungen, vielleicht nicht eine richtige, doch das that zur Sache nichts. Drauf machte ich ihr Begriffe vom Bauen unter dem Wasser, und von mancherlei andern Dingen, wodurch ihre Auf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/32
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/32>, abgerufen am 24.11.2024.