Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


falls, dessen Wahrheit ich verbürge, den Anfang machen. Das in aller Absicht merkwürdige Faktum ist folgendes:

Bald nach dem neuen Jahr wurd' ich zu einem Kranken gefodert, der das hitzige Fieber hatte und in sichtbarer Todesgefahr schwebte. Jch traf ihn völlig bei Verstande, ohnerachtet er vorher sehr phantasirt hatte. Seit dieser Zeit hab' ich ihn Anfangs täglich, nachher, bei zunehmender Besserung einen Tag um den andern besucht, und ihn zwar das eine mal stärker, das andre mal schwächer, aber doch immer verständig gefunden. Schon nach dem vierzehnten Tage fing sich der Patient zu bessern an, und die verdorbnen Säfte zogen sich an einen Theil des Körpers, wo sie allmählig abgeleitet werden konnten. Er hatte viel zu leiden, empfand es, war aber standhaft genug, alles auszuhalten. Mehrmals erinnerte sich der Patient, während dieser Zeit an Lehren und Trostgründe, die ich ihm mehrere Tage vorher zur Beherzigung empfohlen hatte. Er fragte und faßte meine Antwort, ich fragte und erhielt richtige Antworten. Nicht einmal in der Phantasie hat er ein ungebührliches Wort gesprochen, oder eine schlechte Handlung vorgenommen. Und in guten Stunden äusserte er durch Worte und That solche ächt christliche Gesinnungen, daß er allen, die wahre Herzensgüte zu schätzen wußten, nicht wenig Freude machte. Am Ende des Januars merkte ich


falls, dessen Wahrheit ich verbuͤrge, den Anfang machen. Das in aller Absicht merkwuͤrdige Faktum ist folgendes:

Bald nach dem neuen Jahr wurd' ich zu einem Kranken gefodert, der das hitzige Fieber hatte und in sichtbarer Todesgefahr schwebte. Jch traf ihn voͤllig bei Verstande, ohnerachtet er vorher sehr phantasirt hatte. Seit dieser Zeit hab' ich ihn Anfangs taͤglich, nachher, bei zunehmender Besserung einen Tag um den andern besucht, und ihn zwar das eine mal staͤrker, das andre mal schwaͤcher, aber doch immer verstaͤndig gefunden. Schon nach dem vierzehnten Tage fing sich der Patient zu bessern an, und die verdorbnen Saͤfte zogen sich an einen Theil des Koͤrpers, wo sie allmaͤhlig abgeleitet werden konnten. Er hatte viel zu leiden, empfand es, war aber standhaft genug, alles auszuhalten. Mehrmals erinnerte sich der Patient, waͤhrend dieser Zeit an Lehren und Trostgruͤnde, die ich ihm mehrere Tage vorher zur Beherzigung empfohlen hatte. Er fragte und faßte meine Antwort, ich fragte und erhielt richtige Antworten. Nicht einmal in der Phantasie hat er ein ungebuͤhrliches Wort gesprochen, oder eine schlechte Handlung vorgenommen. Und in guten Stunden aͤusserte er durch Worte und That solche aͤcht christliche Gesinnungen, daß er allen, die wahre Herzensguͤte zu schaͤtzen wußten, nicht wenig Freude machte. Am Ende des Januars merkte ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0002" n="2"/><lb/>
falls, dessen Wahrheit ich verbu&#x0364;rge,                   den Anfang machen. Das in aller Absicht merkwu&#x0364;rdige Faktum ist folgendes:</p>
            <p>Bald nach dem neuen Jahr wurd' ich zu einem Kranken gefodert, der das hitzige                   Fieber hatte und in sichtbarer Todesgefahr schwebte. Jch traf ihn vo&#x0364;llig bei                   Verstande, ohnerachtet er vorher sehr phantasirt hatte. Seit dieser Zeit hab' ich                   ihn Anfangs ta&#x0364;glich, nachher, bei zunehmender Besserung einen Tag um den andern                   besucht, und ihn zwar das eine mal sta&#x0364;rker, das andre mal schwa&#x0364;cher, aber doch                   immer versta&#x0364;ndig gefunden. Schon nach dem vierzehnten Tage fing sich der Patient                   zu bessern an, und die verdorbnen Sa&#x0364;fte zogen sich an einen Theil des Ko&#x0364;rpers, wo                   sie allma&#x0364;hlig abgeleitet werden konnten. Er hatte viel zu leiden, empfand es, war                   aber standhaft genug, alles auszuhalten. Mehrmals erinnerte sich der Patient,                   wa&#x0364;hrend dieser Zeit an Lehren und Trostgru&#x0364;nde, die ich ihm mehrere Tage vorher zur                   Beherzigung empfohlen hatte. Er fragte und faßte meine Antwort, <hi rendition="#b">ich</hi> fragte und erhielt richtige Antworten. Nicht einmal in der                   Phantasie hat er ein ungebu&#x0364;hrliches Wort gesprochen, oder eine schlechte Handlung                   vorgenommen. Und in guten Stunden a&#x0364;usserte er durch Worte und That solche a&#x0364;cht                   christliche Gesinnungen, daß er allen, die wahre Herzensgu&#x0364;te zu scha&#x0364;tzen wußten,                   nicht wenig Freude machte. Am Ende des Januars merkte ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0002] falls, dessen Wahrheit ich verbuͤrge, den Anfang machen. Das in aller Absicht merkwuͤrdige Faktum ist folgendes: Bald nach dem neuen Jahr wurd' ich zu einem Kranken gefodert, der das hitzige Fieber hatte und in sichtbarer Todesgefahr schwebte. Jch traf ihn voͤllig bei Verstande, ohnerachtet er vorher sehr phantasirt hatte. Seit dieser Zeit hab' ich ihn Anfangs taͤglich, nachher, bei zunehmender Besserung einen Tag um den andern besucht, und ihn zwar das eine mal staͤrker, das andre mal schwaͤcher, aber doch immer verstaͤndig gefunden. Schon nach dem vierzehnten Tage fing sich der Patient zu bessern an, und die verdorbnen Saͤfte zogen sich an einen Theil des Koͤrpers, wo sie allmaͤhlig abgeleitet werden konnten. Er hatte viel zu leiden, empfand es, war aber standhaft genug, alles auszuhalten. Mehrmals erinnerte sich der Patient, waͤhrend dieser Zeit an Lehren und Trostgruͤnde, die ich ihm mehrere Tage vorher zur Beherzigung empfohlen hatte. Er fragte und faßte meine Antwort, ich fragte und erhielt richtige Antworten. Nicht einmal in der Phantasie hat er ein ungebuͤhrliches Wort gesprochen, oder eine schlechte Handlung vorgenommen. Und in guten Stunden aͤusserte er durch Worte und That solche aͤcht christliche Gesinnungen, daß er allen, die wahre Herzensguͤte zu schaͤtzen wußten, nicht wenig Freude machte. Am Ende des Januars merkte ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/2
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/2>, abgerufen am 27.11.2024.