Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Alle diese Beispiele, so wie das Meinige, beweisen, was vor ein unentbehrliches Jnstrument der Körper für die Seele sey, und wie viel auf der Güte des Jnstruments und seiner Stimmung beruhe. Die Antwort ist mir sehr eindrücklich geblieben, welche ein gelähmter Greiß seinem Arzte gab, der ihm den groben Materialismus aus seinem gegenwärtigen Unvermögen beweisen wollte. Geben sie einmal, sagt' er, dem Virtuosen auf der Violin eine Kindergeige, wird dieser weniger Virtuose seyn, weil er mit einem solchen Jnstrument keine Harmonien zu Stande bringen kann? Es ist unleugbar, daß der menschliche Geist oft mechanisch wirkt; aber man würde sich sehr übereilen, wenn man daraus schliessen wollte, daß er so mit dem Körper vereinbart sey, daß er selbst nur eine Modification gewisser innerer Theile des Körpers, sey, welche gleichsam die Punkte wären, von welchen die Wirkungen ausgehen, und worin sich die Empfindungen endigen. Kann der Punkt sich selbst denken und war je ein Spiegel Beobachter und Gegenstand der Beobachtung zugleich? Wahrlich!
Alle diese Beispiele, so wie das Meinige, beweisen, was vor ein unentbehrliches Jnstrument der Koͤrper fuͤr die Seele sey, und wie viel auf der Guͤte des Jnstruments und seiner Stimmung beruhe. Die Antwort ist mir sehr eindruͤcklich geblieben, welche ein gelaͤhmter Greiß seinem Arzte gab, der ihm den groben Materialismus aus seinem gegenwaͤrtigen Unvermoͤgen beweisen wollte. Geben sie einmal, sagt' er, dem Virtuosen auf der Violin eine Kindergeige, wird dieser weniger Virtuose seyn, weil er mit einem solchen Jnstrument keine Harmonien zu Stande bringen kann? Es ist unleugbar, daß der menschliche Geist oft mechanisch wirkt; aber man wuͤrde sich sehr uͤbereilen, wenn man daraus schliessen wollte, daß er so mit dem Koͤrper vereinbart sey, daß er selbst nur eine Modification gewisser innerer Theile des Koͤrpers, sey, welche gleichsam die Punkte waͤren, von welchen die Wirkungen ausgehen, und worin sich die Empfindungen endigen. Kann der Punkt sich selbst denken und war je ein Spiegel Beobachter und Gegenstand der Beobachtung zugleich? Wahrlich! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0013" n="13"/><lb/> daß er einst nach einer gewissen Krankheit so wenig Besinnungskraft gehabt habe, daß ihm das Alphabet selbst ganz fremd gewesen, und er daher genoͤthiget worden sey, mit den Elementen der Schriftsprache wieder den Anfang zu machen, bis nach einiger Zeit alles Licht in seine Seele zuruͤckgekehret sey. </p> <p>Alle diese Beispiele, so wie das Meinige, beweisen, was vor ein unentbehrliches Jnstrument der Koͤrper fuͤr die Seele sey, und wie viel auf der Guͤte des Jnstruments und seiner Stimmung beruhe. Die Antwort ist mir sehr eindruͤcklich geblieben, welche ein gelaͤhmter Greiß seinem Arzte gab, der ihm den groben Materialismus aus seinem gegenwaͤrtigen Unvermoͤgen beweisen wollte. Geben sie einmal, sagt' er, dem Virtuosen auf der Violin eine Kindergeige, wird dieser weniger Virtuose seyn, weil er mit einem solchen Jnstrument keine Harmonien zu Stande bringen kann? Es ist unleugbar, daß der menschliche Geist oft mechanisch wirkt; aber man wuͤrde sich sehr uͤbereilen, wenn man daraus schliessen wollte, daß er so mit dem Koͤrper vereinbart sey, daß er selbst nur eine Modification gewisser innerer Theile des Koͤrpers, sey, welche gleichsam die Punkte waͤren, von welchen die Wirkungen ausgehen, und worin sich die Empfindungen endigen. Kann der Punkt sich selbst denken und war je ein Spiegel Beobachter und Gegenstand der Beobachtung zugleich? Wahrlich!<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0013]
daß er einst nach einer gewissen Krankheit so wenig Besinnungskraft gehabt habe, daß ihm das Alphabet selbst ganz fremd gewesen, und er daher genoͤthiget worden sey, mit den Elementen der Schriftsprache wieder den Anfang zu machen, bis nach einiger Zeit alles Licht in seine Seele zuruͤckgekehret sey.
Alle diese Beispiele, so wie das Meinige, beweisen, was vor ein unentbehrliches Jnstrument der Koͤrper fuͤr die Seele sey, und wie viel auf der Guͤte des Jnstruments und seiner Stimmung beruhe. Die Antwort ist mir sehr eindruͤcklich geblieben, welche ein gelaͤhmter Greiß seinem Arzte gab, der ihm den groben Materialismus aus seinem gegenwaͤrtigen Unvermoͤgen beweisen wollte. Geben sie einmal, sagt' er, dem Virtuosen auf der Violin eine Kindergeige, wird dieser weniger Virtuose seyn, weil er mit einem solchen Jnstrument keine Harmonien zu Stande bringen kann? Es ist unleugbar, daß der menschliche Geist oft mechanisch wirkt; aber man wuͤrde sich sehr uͤbereilen, wenn man daraus schliessen wollte, daß er so mit dem Koͤrper vereinbart sey, daß er selbst nur eine Modification gewisser innerer Theile des Koͤrpers, sey, welche gleichsam die Punkte waͤren, von welchen die Wirkungen ausgehen, und worin sich die Empfindungen endigen. Kann der Punkt sich selbst denken und war je ein Spiegel Beobachter und Gegenstand der Beobachtung zugleich? Wahrlich!
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/13>, abgerufen am 18.07.2024. |