Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Auszug aus einem Briefe von dem Verfasser der Geschichte meiner Verirrungen. Halle, den 17ten Sept. 1785. Schon aus meiner Geschichte werden Sie beurtheilen, in welchem Grade ich fähig sey, den Menschen zu beobachten. Mir fehlt es noch an manchen philosophischen Kenntnissen; ich möchte mich daher mannigmahl zu weit in das eigentliche gelehrte Studium der Seelenlehre verirren, wozu ich doch in mancherley Rücksicht mich zu schwach fühle. Jch habe mir indessen eine Bahn gewählt, von welcher ich wünschte, daß sie Jhren Beyfall haben möchte. Jch habe angefangen, mich auf die äußern Kennzeichen der Menschenkenntniß zu legen. Daß es deren giebt, werden Sie um so weniger in Zweifel ziehen, da die mehresten Dinge in der Natur (und vielleicht alle) das Zeichen ihres Jnnern an sich tragen -- Sollte der Mensch allein davon ausgeschlossen seyn, der auf der obersten Stuffe der kör- Auszug aus einem Briefe von dem Verfasser der Geschichte meiner Verirrungen. Halle, den 17ten Sept. 1785. Schon aus meiner Geschichte werden Sie beurtheilen, in welchem Grade ich faͤhig sey, den Menschen zu beobachten. Mir fehlt es noch an manchen philosophischen Kenntnissen; ich moͤchte mich daher mannigmahl zu weit in das eigentliche gelehrte Studium der Seelenlehre verirren, wozu ich doch in mancherley Ruͤcksicht mich zu schwach fuͤhle. Jch habe mir indessen eine Bahn gewaͤhlt, von welcher ich wuͤnschte, daß sie Jhren Beyfall haben moͤchte. Jch habe angefangen, mich auf die aͤußern Kennzeichen der Menschenkenntniß zu legen. Daß es deren giebt, werden Sie um so weniger in Zweifel ziehen, da die mehresten Dinge in der Natur (und vielleicht alle) das Zeichen ihres Jnnern an sich tragen — Sollte der Mensch allein davon ausgeschlossen seyn, der auf der obersten Stuffe der koͤr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0122" n="122"/><lb/><lb/> </div> <div n="2"> <head>Auszug aus einem Briefe von dem Verfasser der Geschichte meiner Verirrungen.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref75"><note type="editorial"/>Anonym</persName> </bibl> </note> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">Halle, den 17ten Sept. 1785.</hi> </dateline> </opener> <p>Schon aus meiner Geschichte werden Sie beurtheilen, in welchem Grade ich faͤhig sey, den Menschen zu beobachten. Mir fehlt es noch an manchen philosophischen Kenntnissen; ich moͤchte mich daher mannigmahl zu weit in das eigentliche gelehrte Studium der Seelenlehre verirren, wozu ich doch in mancherley Ruͤcksicht mich zu schwach fuͤhle. </p> <p>Jch habe mir indessen eine Bahn gewaͤhlt, von welcher ich wuͤnschte, daß sie Jhren Beyfall haben moͤchte. Jch habe angefangen, mich auf die aͤußern Kennzeichen der Menschenkenntniß zu legen. Daß es deren giebt, werden Sie um so weniger in Zweifel ziehen, da die mehresten Dinge in der Natur (und vielleicht alle) das Zeichen ihres Jnnern an sich tragen — Sollte der Mensch allein davon ausgeschlossen seyn, der auf der obersten Stuffe der koͤr-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0122]
Auszug aus einem Briefe von dem Verfasser der Geschichte meiner Verirrungen.
Halle, den 17ten Sept. 1785. Schon aus meiner Geschichte werden Sie beurtheilen, in welchem Grade ich faͤhig sey, den Menschen zu beobachten. Mir fehlt es noch an manchen philosophischen Kenntnissen; ich moͤchte mich daher mannigmahl zu weit in das eigentliche gelehrte Studium der Seelenlehre verirren, wozu ich doch in mancherley Ruͤcksicht mich zu schwach fuͤhle.
Jch habe mir indessen eine Bahn gewaͤhlt, von welcher ich wuͤnschte, daß sie Jhren Beyfall haben moͤchte. Jch habe angefangen, mich auf die aͤußern Kennzeichen der Menschenkenntniß zu legen. Daß es deren giebt, werden Sie um so weniger in Zweifel ziehen, da die mehresten Dinge in der Natur (und vielleicht alle) das Zeichen ihres Jnnern an sich tragen — Sollte der Mensch allein davon ausgeschlossen seyn, der auf der obersten Stuffe der koͤr-
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