Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Was ist in unsrer eignen Seele, das die Zunge leichter zum Ausdruck hinüber lockt, als die angenehmen Empfindungen des Glücks, der Liebe, des Lobens, des Gefallens und des Billigens? Welches Gefühl in unserm Körper ist lockender zum leichten und schnellen Ausdruck, als das Gefühl des Lebens, des Leibes, und der Glieder? So wie aber die Zunge beim Gefühl des Angenehmen sich schnell und leicht im Munde bewegt, eben so unwillkürlich bewegt sie sich auch obgleich langsamer und schwerer beim Gefühl des Unangenehmen, wie ein jeder aus der Erfahrung wissen kann, wenn er sich an die Bewegung der Zunge bei der Vorstellung von einer übelschmeckenden Arznei erinnert. Daher kömmt es auch, daß gerade das Gegentheil vom Angenehmen, ebenfalls durch den sonst so schnell und flüchtig nur zum Angenehmen übergehenden Buchstaben l ausgedrückt wird. Daher bezeichnet das l auch die Unmuth und Leiden erweckende Leerheit, es bezeichnet die das Leere hervorbringende Kleinheit, das durch die Leere und Kleinheit hervorgebrachte Leiden und das dem Anschein nach traurige dem Tode ähnliche Liegen und Schlafen.
Was ist in unsrer eignen Seele, das die Zunge leichter zum Ausdruck hinuͤber lockt, als die angenehmen Empfindungen des Gluͤcks, der Liebe, des Lobens, des Gefallens und des Billigens? Welches Gefuͤhl in unserm Koͤrper ist lockender zum leichten und schnellen Ausdruck, als das Gefuͤhl des Lebens, des Leibes, und der Glieder? So wie aber die Zunge beim Gefuͤhl des Angenehmen sich schnell und leicht im Munde bewegt, eben so unwillkuͤrlich bewegt sie sich auch obgleich langsamer und schwerer beim Gefuͤhl des Unangenehmen, wie ein jeder aus der Erfahrung wissen kann, wenn er sich an die Bewegung der Zunge bei der Vorstellung von einer uͤbelschmeckenden Arznei erinnert. Daher koͤmmt es auch, daß gerade das Gegentheil vom Angenehmen, ebenfalls durch den sonst so schnell und fluͤchtig nur zum Angenehmen uͤbergehenden Buchstaben l ausgedruͤckt wird. Daher bezeichnet das l auch die Unmuth und Leiden erweckende Leerheit, es bezeichnet die das Leere hervorbringende Kleinheit, das durch die Leere und Kleinheit hervorgebrachte Leiden und das dem Anschein nach traurige dem Tode aͤhnliche Liegen und Schlafen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0114" n="114"/><lb/> ckende Blitz? Was ist leichter und daher auch zu jeder schnellen und fluͤchtigen Bewegung geschickter, als das zitternde Blatt am Baume. Die leichtherniederfallende Flocke, und die weiche gekraͤuselte Wolle. </p> <p>Was ist in unsrer eignen Seele, das die Zunge leichter zum Ausdruck hinuͤber lockt, als die angenehmen Empfindungen des Gluͤcks, der Liebe, des Lobens, des Gefallens und des Billigens? Welches Gefuͤhl in unserm Koͤrper ist lockender zum leichten und schnellen Ausdruck, als das Gefuͤhl des Lebens, des Leibes, und der Glieder? </p> <p>So wie aber die Zunge beim Gefuͤhl des Angenehmen sich schnell und leicht im Munde bewegt, eben so unwillkuͤrlich bewegt sie sich auch obgleich langsamer und schwerer beim Gefuͤhl des Unangenehmen, wie ein jeder aus der Erfahrung wissen kann, wenn er sich an die Bewegung der Zunge bei der Vorstellung von einer uͤbelschmeckenden Arznei erinnert. Daher koͤmmt es auch, daß gerade das Gegentheil vom Angenehmen, ebenfalls durch den sonst so schnell und fluͤchtig nur zum Angenehmen uͤbergehenden Buchstaben <hi rendition="#b">l</hi> ausgedruͤckt wird. Daher bezeichnet das <hi rendition="#b">l</hi> auch die Unmuth und Leiden erweckende Leerheit, es bezeichnet die das Leere hervorbringende Kleinheit, das durch die Leere und Kleinheit hervorgebrachte Leiden und das dem Anschein nach traurige dem Tode aͤhnliche <hi rendition="#b">Liegen</hi> und Schlafen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0114]
ckende Blitz? Was ist leichter und daher auch zu jeder schnellen und fluͤchtigen Bewegung geschickter, als das zitternde Blatt am Baume. Die leichtherniederfallende Flocke, und die weiche gekraͤuselte Wolle.
Was ist in unsrer eignen Seele, das die Zunge leichter zum Ausdruck hinuͤber lockt, als die angenehmen Empfindungen des Gluͤcks, der Liebe, des Lobens, des Gefallens und des Billigens? Welches Gefuͤhl in unserm Koͤrper ist lockender zum leichten und schnellen Ausdruck, als das Gefuͤhl des Lebens, des Leibes, und der Glieder?
So wie aber die Zunge beim Gefuͤhl des Angenehmen sich schnell und leicht im Munde bewegt, eben so unwillkuͤrlich bewegt sie sich auch obgleich langsamer und schwerer beim Gefuͤhl des Unangenehmen, wie ein jeder aus der Erfahrung wissen kann, wenn er sich an die Bewegung der Zunge bei der Vorstellung von einer uͤbelschmeckenden Arznei erinnert. Daher koͤmmt es auch, daß gerade das Gegentheil vom Angenehmen, ebenfalls durch den sonst so schnell und fluͤchtig nur zum Angenehmen uͤbergehenden Buchstaben l ausgedruͤckt wird. Daher bezeichnet das l auch die Unmuth und Leiden erweckende Leerheit, es bezeichnet die das Leere hervorbringende Kleinheit, das durch die Leere und Kleinheit hervorgebrachte Leiden und das dem Anschein nach traurige dem Tode aͤhnliche Liegen und Schlafen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/114>, abgerufen am 18.07.2024. |