Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
"Christus ist für mich gestorben und mein Erlöser worden." Darauf legt er sich nieder, wird immer kränker und matter und verlangt nur bisweilen durch Zeichen etwas zu essen. Doch kann er nur wenig und nichts als Suppen zu sich nehmen, denn die Kinnladen waren zusammengeschlossen.*) Nach einigen Tagen kann er auf dem einen Auge nicht mehr sehen und den folgenden ist er ganz blind. So liegt er einige Tage, nimmt wenig zu sich und wird so schwach, daß jedermann, auch sogar die Aerzte an seinem Aufkommen zweifelten. Mit einemmal aber erholt er sich durch den sich wiederfindenden Stuhlgang, der einige Tage ausgeblieben war. Er fängt an mit dem einen Auge zu sehen und nach einigen Tagen erhält er wieder den vollkommenen Gebrauch seines Gesichts. Er nimmt mehr Speisen zu sich, die er mit den Fingern an den Zähnen zerreibt. Die verlohrnen Kräfte sammeln sich wieder und nach und nach wird er wieder so stark, daß er mit seiner Mutter 7 Stunden weit hieher gehen kann. Hier habe ich ihn selbst gesehen, da er noch stumm war, und seine Gedanken durch Händezeichen mittheilte auch ziemlich unwillig ward, wenn man ihn nicht *) Ein Arzt, mit dem ich mich hierüber besprach, nennte mir diese Krankheit, und sagte, daß es eben das sey, was man bei den Pferden Maulsperre zu nennen pflege.
»Christus ist fuͤr mich gestorben und mein Erloͤser worden.« Darauf legt er sich nieder, wird immer kraͤnker und matter und verlangt nur bisweilen durch Zeichen etwas zu essen. Doch kann er nur wenig und nichts als Suppen zu sich nehmen, denn die Kinnladen waren zusammengeschlossen.*) Nach einigen Tagen kann er auf dem einen Auge nicht mehr sehen und den folgenden ist er ganz blind. So liegt er einige Tage, nimmt wenig zu sich und wird so schwach, daß jedermann, auch sogar die Aerzte an seinem Aufkommen zweifelten. Mit einemmal aber erholt er sich durch den sich wiederfindenden Stuhlgang, der einige Tage ausgeblieben war. Er faͤngt an mit dem einen Auge zu sehen und nach einigen Tagen erhaͤlt er wieder den vollkommenen Gebrauch seines Gesichts. Er nimmt mehr Speisen zu sich, die er mit den Fingern an den Zaͤhnen zerreibt. Die verlohrnen Kraͤfte sammeln sich wieder und nach und nach wird er wieder so stark, daß er mit seiner Mutter 7 Stunden weit hieher gehen kann. Hier habe ich ihn selbst gesehen, da er noch stumm war, und seine Gedanken durch Haͤndezeichen mittheilte auch ziemlich unwillig ward, wenn man ihn nicht *) Ein Arzt, mit dem ich mich hieruͤber besprach, nennte mir diese Krankheit, und sagte, daß es eben das sey, was man bei den Pferden Maulsperre zu nennen pflege.
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pier, Dinte und Feder. Als ihm dieses gereicht wird, schreibt er auf ein Zeddelchen:
»Christus ist fuͤr mich gestorben und mein Erloͤser worden.«
Darauf legt er sich nieder, wird immer kraͤnker und matter und verlangt nur bisweilen durch Zeichen etwas zu essen. Doch kann er nur wenig und nichts als Suppen zu sich nehmen, denn die Kinnladen waren zusammengeschlossen.*) Nach einigen Tagen kann er auf dem einen Auge nicht mehr sehen und den folgenden ist er ganz blind. So liegt er einige Tage, nimmt wenig zu sich und wird so schwach, daß jedermann, auch sogar die Aerzte an seinem Aufkommen zweifelten. Mit einemmal aber erholt er sich durch den sich wiederfindenden Stuhlgang, der einige Tage ausgeblieben war. Er faͤngt an mit dem einen Auge zu sehen und nach einigen Tagen erhaͤlt er wieder den vollkommenen Gebrauch seines Gesichts. Er nimmt mehr Speisen zu sich, die er mit den Fingern an den Zaͤhnen zerreibt. Die verlohrnen Kraͤfte sammeln sich wieder und nach und nach wird er wieder so stark, daß er mit seiner Mutter 7 Stunden weit hieher gehen kann. Hier habe ich ihn selbst gesehen, da er noch stumm war, und seine Gedanken durch Haͤndezeichen mittheilte auch ziemlich unwillig ward, wenn man ihn nicht
*) Ein Arzt, mit dem ich mich hieruͤber besprach, nennte mir diese Krankheit, und sagte, daß es eben das sey, was man bei den Pferden Maulsperre zu nennen pflege.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/102>, abgerufen am 16.02.2025. |