Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Diese Schilderung mußte des Folgenden wegen vorhergehen. -- Jch hatte die Gewohnheit, meine Kinder öfters, besonders in den langen Winterabenden, um mich her zu versammlen, ihnen entweder etwas vorzulesen oder vorzuerzählen, oder auch wohl auf dem Klaviere vorzuspielen und mit ihnen gemeinschaftlich einen Gesang anzustimmen, überzeugt von der wohlthätigen Wirkung der Harmonie auf weiche Kinderseelen. Jch hatte oft und viel gespielt, ohne daß jemals dieser Zögling das geringste Zeichen von Theilnehmung merken ließ. An einem Abend spielte ich zufällig eine Stelle aus Türks Sieg der Maurerei, wo die Hörner in leichten Sext- und Quintengängen eine simple Melodie spielen, und plötzlich sprang er vom Tische auf, umfaßte mich sehr heftig und begleitete mit dem ganzen Körper und unmäßigen Sprüngen jede Bewegung so nachdrücklich, daß mir seine Begleitung sehr beschwerlich fiel. Mit jeder Wiederholung dieser Stelle nahm seine Entzückung zu, sein Gesicht ward so heiter und froh, als ich es vorher nie gesehen hatte, und die Bewegungen seines Körpers gränzten ans Konvulsivische. Ja,
Diese Schilderung mußte des Folgenden wegen vorhergehen. — Jch hatte die Gewohnheit, meine Kinder oͤfters, besonders in den langen Winterabenden, um mich her zu versammlen, ihnen entweder etwas vorzulesen oder vorzuerzaͤhlen, oder auch wohl auf dem Klaviere vorzuspielen und mit ihnen gemeinschaftlich einen Gesang anzustimmen, uͤberzeugt von der wohlthaͤtigen Wirkung der Harmonie auf weiche Kinderseelen. Jch hatte oft und viel gespielt, ohne daß jemals dieser Zoͤgling das geringste Zeichen von Theilnehmung merken ließ. An einem Abend spielte ich zufaͤllig eine Stelle aus Tuͤrks Sieg der Maurerei, wo die Hoͤrner in leichten Sext- und Quintengaͤngen eine simple Melodie spielen, und ploͤtzlich sprang er vom Tische auf, umfaßte mich sehr heftig und begleitete mit dem ganzen Koͤrper und unmaͤßigen Spruͤngen jede Bewegung so nachdruͤcklich, daß mir seine Begleitung sehr beschwerlich fiel. Mit jeder Wiederholung dieser Stelle nahm seine Entzuͤckung zu, sein Gesicht ward so heiter und froh, als ich es vorher nie gesehen hatte, und die Bewegungen seines Koͤrpers graͤnzten ans Konvulsivische. Ja, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0094" n="94"/><lb/> Selten uͤberrascht man ihn bei einem treuherzigen Gespraͤche; nie hat er mich seiner Liebe zu mir versichert, aber ich weiß gewiß, daß er mich herzlich lieb hat, und um destomehr, je weniger er in dem Falle gewesen ist, es mir sagen zu duͤrfen. </p> <p>Diese Schilderung mußte des Folgenden wegen vorhergehen. — Jch hatte die Gewohnheit, meine Kinder oͤfters, besonders in den langen Winterabenden, um mich her zu versammlen, ihnen entweder etwas vorzulesen oder vorzuerzaͤhlen, oder auch wohl auf dem Klaviere vorzuspielen und mit ihnen gemeinschaftlich einen Gesang anzustimmen, uͤberzeugt von der wohlthaͤtigen Wirkung der Harmonie auf weiche Kinderseelen. Jch hatte oft und viel gespielt, ohne daß jemals dieser Zoͤgling das geringste Zeichen von Theilnehmung merken ließ. An einem Abend spielte ich zufaͤllig eine Stelle aus Tuͤrks Sieg der Maurerei, wo die Hoͤrner in leichten Sext- und Quintengaͤngen eine simple Melodie spielen, und ploͤtzlich sprang er vom Tische auf, umfaßte mich sehr heftig und begleitete mit dem ganzen Koͤrper und unmaͤßigen Spruͤngen jede Bewegung so nachdruͤcklich, daß mir seine Begleitung sehr beschwerlich fiel. Mit jeder Wiederholung dieser Stelle nahm seine Entzuͤckung zu, sein Gesicht ward so heiter und froh, als ich es vorher nie gesehen hatte, und die Bewegungen seines Koͤrpers graͤnzten ans Konvulsivische. Ja,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0094]
Selten uͤberrascht man ihn bei einem treuherzigen Gespraͤche; nie hat er mich seiner Liebe zu mir versichert, aber ich weiß gewiß, daß er mich herzlich lieb hat, und um destomehr, je weniger er in dem Falle gewesen ist, es mir sagen zu duͤrfen.
Diese Schilderung mußte des Folgenden wegen vorhergehen. — Jch hatte die Gewohnheit, meine Kinder oͤfters, besonders in den langen Winterabenden, um mich her zu versammlen, ihnen entweder etwas vorzulesen oder vorzuerzaͤhlen, oder auch wohl auf dem Klaviere vorzuspielen und mit ihnen gemeinschaftlich einen Gesang anzustimmen, uͤberzeugt von der wohlthaͤtigen Wirkung der Harmonie auf weiche Kinderseelen. Jch hatte oft und viel gespielt, ohne daß jemals dieser Zoͤgling das geringste Zeichen von Theilnehmung merken ließ. An einem Abend spielte ich zufaͤllig eine Stelle aus Tuͤrks Sieg der Maurerei, wo die Hoͤrner in leichten Sext- und Quintengaͤngen eine simple Melodie spielen, und ploͤtzlich sprang er vom Tische auf, umfaßte mich sehr heftig und begleitete mit dem ganzen Koͤrper und unmaͤßigen Spruͤngen jede Bewegung so nachdruͤcklich, daß mir seine Begleitung sehr beschwerlich fiel. Mit jeder Wiederholung dieser Stelle nahm seine Entzuͤckung zu, sein Gesicht ward so heiter und froh, als ich es vorher nie gesehen hatte, und die Bewegungen seines Koͤrpers graͤnzten ans Konvulsivische. Ja,
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