Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Allem diesem füge ich nur noch die Anmerkung bei, daß, ob ich gleich eine sehr lebhafte Jmagination besitze, mich doch mein medicinisches Studium, welches ich eifrig treibe, gewöhnt, nach klaren Begriffen zu handeln. -- Endlich gehöre ich auch ganz und gar nicht zu den zuckersüßen und empfindsamen Modeärzten, sondern bin zum strengen Ernst geneigt. Fräulein von May, ein mit einer sehr lebhaften Jmagination begabtes aber dabei sehr scharfsinniges und kluges Frauenzimmer von etwa fünfzig Jahren, zog mich wegen einer Unpäßlichkeit zu Rathe. Jch stellte ihr vor, daß keine Arznei ihr geschwinder helfen würde, als ein Brechtrank, und sie entschloß sich auch wirklich, ohne sonderliche Widerrede, am folgenden Morgen diese Arznei zu nehmen. Eine andere Arznei würde ich gern meiner Patientin verordnet haben, wenn mir der überaus grosse Widerwillen, den sie von jeher gegen Brechmittel gehegt hatte, bekannt gewesen wäre. Die Arznei wurde noch des Abends geholt, und die Patientin legte sich mit den angstvollsten Gedanken an das morgen
Allem diesem fuͤge ich nur noch die Anmerkung bei, daß, ob ich gleich eine sehr lebhafte Jmagination besitze, mich doch mein medicinisches Studium, welches ich eifrig treibe, gewoͤhnt, nach klaren Begriffen zu handeln. — Endlich gehoͤre ich auch ganz und gar nicht zu den zuckersuͤßen und empfindsamen Modeaͤrzten, sondern bin zum strengen Ernst geneigt. Fraͤulein von May, ein mit einer sehr lebhaften Jmagination begabtes aber dabei sehr scharfsinniges und kluges Frauenzimmer von etwa fuͤnfzig Jahren, zog mich wegen einer Unpaͤßlichkeit zu Rathe. Jch stellte ihr vor, daß keine Arznei ihr geschwinder helfen wuͤrde, als ein Brechtrank, und sie entschloß sich auch wirklich, ohne sonderliche Widerrede, am folgenden Morgen diese Arznei zu nehmen. Eine andere Arznei wuͤrde ich gern meiner Patientin verordnet haben, wenn mir der uͤberaus grosse Widerwillen, den sie von jeher gegen Brechmittel gehegt hatte, bekannt gewesen waͤre. Die Arznei wurde noch des Abends geholt, und die Patientin legte sich mit den angstvollsten Gedanken an das morgen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0087" n="87"/><lb/> folgt die staͤrkste Reaction, und der staͤrkere Reiz vernichtet den schwaͤchern <hi rendition="#aq">(lumen maius obscurat minus).</hi> Jsts mit der moralischen Reizbarkeit nicht eben so? Der Reiz kann wirken, ohne daß wir ihn kennen. </p> <p>Allem diesem fuͤge ich nur noch die Anmerkung bei, daß, ob ich gleich eine sehr lebhafte Jmagination besitze, mich doch mein medicinisches Studium, welches ich eifrig treibe, gewoͤhnt, nach klaren Begriffen zu handeln. — Endlich gehoͤre ich auch ganz und gar nicht zu den zuckersuͤßen und empfindsamen Modeaͤrzten, sondern bin zum strengen Ernst geneigt. </p> <p>Fraͤulein von May, ein mit einer sehr lebhaften Jmagination begabtes aber dabei sehr scharfsinniges und kluges Frauenzimmer von etwa fuͤnfzig Jahren, zog mich wegen einer Unpaͤßlichkeit zu Rathe. Jch stellte ihr vor, daß keine Arznei ihr geschwinder helfen wuͤrde, als ein Brechtrank, und sie entschloß sich auch wirklich, ohne sonderliche Widerrede, am folgenden Morgen diese Arznei zu nehmen. Eine andere Arznei wuͤrde ich gern meiner Patientin verordnet haben, wenn mir der uͤberaus grosse Widerwillen, den sie von jeher gegen Brechmittel gehegt hatte, bekannt gewesen waͤre. Die Arznei wurde noch des Abends geholt, und die Patientin legte sich mit den angstvollsten Gedanken an das morgen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0087]
folgt die staͤrkste Reaction, und der staͤrkere Reiz vernichtet den schwaͤchern (lumen maius obscurat minus). Jsts mit der moralischen Reizbarkeit nicht eben so? Der Reiz kann wirken, ohne daß wir ihn kennen.
Allem diesem fuͤge ich nur noch die Anmerkung bei, daß, ob ich gleich eine sehr lebhafte Jmagination besitze, mich doch mein medicinisches Studium, welches ich eifrig treibe, gewoͤhnt, nach klaren Begriffen zu handeln. — Endlich gehoͤre ich auch ganz und gar nicht zu den zuckersuͤßen und empfindsamen Modeaͤrzten, sondern bin zum strengen Ernst geneigt.
Fraͤulein von May, ein mit einer sehr lebhaften Jmagination begabtes aber dabei sehr scharfsinniges und kluges Frauenzimmer von etwa fuͤnfzig Jahren, zog mich wegen einer Unpaͤßlichkeit zu Rathe. Jch stellte ihr vor, daß keine Arznei ihr geschwinder helfen wuͤrde, als ein Brechtrank, und sie entschloß sich auch wirklich, ohne sonderliche Widerrede, am folgenden Morgen diese Arznei zu nehmen. Eine andere Arznei wuͤrde ich gern meiner Patientin verordnet haben, wenn mir der uͤberaus grosse Widerwillen, den sie von jeher gegen Brechmittel gehegt hatte, bekannt gewesen waͤre. Die Arznei wurde noch des Abends geholt, und die Patientin legte sich mit den angstvollsten Gedanken an das morgen
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