Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Woher kams, daß ich bei allen den guten Umständen, die ich bei der Krankheit (an der nun freilich eigentlich auch die Patientin nicht starb) wahrnahm, so besorgt wegen eines schlimmen Ausgangs derselben war? Von dem innerlichen Fehler, woran die Patientin starb, konnte ich keine deutliche Jdee haben, konnte sein Daseyn gar nicht vermuthen. Wenigstens weiß ich mich nicht zu erinnern, daß ich je daran gedacht hätte. Aber sollte ich deswegen wohl nicht vielleicht eine dunkle Jdee von einem solchen Fehler gehabt haben können? Finden doch solche dunkle Jdeen bei den sogenannten Ahndungen, wenn sie eintreffen, auch wohl statt. Folgt nicht aus dieser Erzählung, daß die dunkeln Jdeen, solche nehmlich, deren Entstehen und Verhältnisse wir nicht genau kennen, uns oft zum Handeln determiniren? Folgt nicht ferner, daß die dunkeln Jdeen und Vorstellungen, wenn sie nur die lebhaftesten sind, uns zu Handlungen zwingen, die uns klare Jdeen widerrathen? Folgt nicht endlich hieraus die Bestätigung des Satzes, den der junge Jerusalem so evident erwiesen hat, und den ich so gewiß als mein Daseyn glaube, daß unser Handeln unwillkührlich ist. Haller lehrte den Satz, auf den stärksten Reiz der Muskelfaser
Woher kams, daß ich bei allen den guten Umstaͤnden, die ich bei der Krankheit (an der nun freilich eigentlich auch die Patientin nicht starb) wahrnahm, so besorgt wegen eines schlimmen Ausgangs derselben war? Von dem innerlichen Fehler, woran die Patientin starb, konnte ich keine deutliche Jdee haben, konnte sein Daseyn gar nicht vermuthen. Wenigstens weiß ich mich nicht zu erinnern, daß ich je daran gedacht haͤtte. Aber sollte ich deswegen wohl nicht vielleicht eine dunkle Jdee von einem solchen Fehler gehabt haben koͤnnen? Finden doch solche dunkle Jdeen bei den sogenannten Ahndungen, wenn sie eintreffen, auch wohl statt. Folgt nicht aus dieser Erzaͤhlung, daß die dunkeln Jdeen, solche nehmlich, deren Entstehen und Verhaͤltnisse wir nicht genau kennen, uns oft zum Handeln determiniren? Folgt nicht ferner, daß die dunkeln Jdeen und Vorstellungen, wenn sie nur die lebhaftesten sind, uns zu Handlungen zwingen, die uns klare Jdeen widerrathen? Folgt nicht endlich hieraus die Bestaͤtigung des Satzes, den der junge Jerusalem so evident erwiesen hat, und den ich so gewiß als mein Daseyn glaube, daß unser Handeln unwillkuͤhrlich ist. Haller lehrte den Satz, auf den staͤrksten Reiz der Muskelfaser <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0086" n="86"/><lb/> daß ein besonders situirtes und ploͤtzlich aufgebrochenes Geschwur die wahre Ursach des Todes gewesen seyn muͤsse. Doch ich rede hier nicht als Arzt. </p> <p>Woher kams, daß ich bei allen den guten Umstaͤnden, die ich bei <hi rendition="#b">der Krankheit</hi> (an der nun freilich eigentlich auch die Patientin nicht starb) wahrnahm, so besorgt wegen eines schlimmen Ausgangs derselben war? <hi rendition="#b">Von dem innerlichen Fehler, woran die Patientin starb, konnte ich keine deutliche Jdee haben, konnte sein Daseyn gar nicht vermuthen.</hi> Wenigstens weiß ich mich nicht zu erinnern, daß ich je daran gedacht haͤtte. </p> <p>Aber sollte ich deswegen wohl nicht vielleicht eine <hi rendition="#b">dunkle Jdee</hi> von einem solchen Fehler gehabt haben koͤnnen? Finden doch solche dunkle Jdeen bei den sogenannten Ahndungen, wenn sie eintreffen, auch wohl statt. </p> <p>Folgt nicht aus dieser Erzaͤhlung, daß die <hi rendition="#b">dunkeln Jdeen,</hi> solche nehmlich, deren Entstehen und Verhaͤltnisse wir nicht genau kennen, uns oft zum Handeln determiniren? Folgt nicht ferner, daß die dunkeln Jdeen und Vorstellungen, wenn sie nur die <hi rendition="#b">lebhaftesten</hi> sind, uns zu Handlungen zwingen, die uns klare Jdeen widerrathen? Folgt nicht endlich hieraus die Bestaͤtigung des Satzes, den der junge <hi rendition="#b">Jerusalem</hi> so evident erwiesen hat, und den ich so gewiß als mein Daseyn glaube, <hi rendition="#b">daß unser Handeln unwillkuͤhrlich ist. Haller</hi> lehrte den Satz, auf den staͤrksten Reiz der Muskelfaser<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0086]
daß ein besonders situirtes und ploͤtzlich aufgebrochenes Geschwur die wahre Ursach des Todes gewesen seyn muͤsse. Doch ich rede hier nicht als Arzt.
Woher kams, daß ich bei allen den guten Umstaͤnden, die ich bei der Krankheit (an der nun freilich eigentlich auch die Patientin nicht starb) wahrnahm, so besorgt wegen eines schlimmen Ausgangs derselben war? Von dem innerlichen Fehler, woran die Patientin starb, konnte ich keine deutliche Jdee haben, konnte sein Daseyn gar nicht vermuthen. Wenigstens weiß ich mich nicht zu erinnern, daß ich je daran gedacht haͤtte.
Aber sollte ich deswegen wohl nicht vielleicht eine dunkle Jdee von einem solchen Fehler gehabt haben koͤnnen? Finden doch solche dunkle Jdeen bei den sogenannten Ahndungen, wenn sie eintreffen, auch wohl statt.
Folgt nicht aus dieser Erzaͤhlung, daß die dunkeln Jdeen, solche nehmlich, deren Entstehen und Verhaͤltnisse wir nicht genau kennen, uns oft zum Handeln determiniren? Folgt nicht ferner, daß die dunkeln Jdeen und Vorstellungen, wenn sie nur die lebhaftesten sind, uns zu Handlungen zwingen, die uns klare Jdeen widerrathen? Folgt nicht endlich hieraus die Bestaͤtigung des Satzes, den der junge Jerusalem so evident erwiesen hat, und den ich so gewiß als mein Daseyn glaube, daß unser Handeln unwillkuͤhrlich ist. Haller lehrte den Satz, auf den staͤrksten Reiz der Muskelfaser
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