Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Die Zukunft nach dem Tode wirkte gar nicht auf mich. Kein lebhafter Gedanke von Ewigkeit, Sünde, Strafe -- nichts davon! Ein unabsehliches Blachfeld, das ich nicht kannte, auf dem ich nicht wußte, wo ich war, war alles, was ich mir von der Zukunft dachte. Das Bild war nicht anziehend, aber auch nicht widrig. Was dem Unangenehmen das Uebergewicht gab, war das Schauervolle, was Ungewißheit immer mit sich führt. Und hieraus entstand denn natürlich der Wunsch, lieber noch von dieser Seite des Styx das gegenüber liegende Ufer etwas zu betrachten, als gleich überzuschiffen. Kurz alles, was sich der Seele vormahlte, waren schwebende Bilder, die, nie ruhig, immer eins vor dem andern vorbeitanzten. Jn dem Augenblick, da sie vorschwebten, fällte die Seele schnelle Urtheile und Wahrnehmungen -- denn sie war nicht matt, sie
Die Zukunft nach dem Tode wirkte gar nicht auf mich. Kein lebhafter Gedanke von Ewigkeit, Suͤnde, Strafe — nichts davon! Ein unabsehliches Blachfeld, das ich nicht kannte, auf dem ich nicht wußte, wo ich war, war alles, was ich mir von der Zukunft dachte. Das Bild war nicht anziehend, aber auch nicht widrig. Was dem Unangenehmen das Uebergewicht gab, war das Schauervolle, was Ungewißheit immer mit sich fuͤhrt. Und hieraus entstand denn natuͤrlich der Wunsch, lieber noch von dieser Seite des Styx das gegenuͤber liegende Ufer etwas zu betrachten, als gleich uͤberzuschiffen. Kurz alles, was sich der Seele vormahlte, waren schwebende Bilder, die, nie ruhig, immer eins vor dem andern vorbeitanzten. Jn dem Augenblick, da sie vorschwebten, faͤllte die Seele schnelle Urtheile und Wahrnehmungen — denn sie war nicht matt, sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0078" n="78"/><lb/> bus</hi> verschloß die Luftroͤhre, und den naͤchsten Augenblick waren alle die dunkeln Gegenstaͤnde um mich her verschwunden, ich lag ohne Bewegung und war der Erde entflohen. Jn dieser Gestalt mißfiel mir der Tod nicht, und ich machte noch mitten im Paroxismus die Bemerkung, ob es nicht Taͤuschung ist, daß wir den <hi rendition="#b">Tod</hi> fuͤrchten sollen; ob nicht <hi rendition="#b">Todesfurcht</hi> bei jedem, Schauer vor dem, was den Tod <hi rendition="#b">begleitet, vorhergeht,</hi> oder <hi rendition="#b">folget,</hi> sey?</p> <p>Die Zukunft nach dem Tode wirkte gar nicht auf mich. Kein lebhafter Gedanke von Ewigkeit, Suͤnde, Strafe — nichts davon! Ein unabsehliches Blachfeld, das ich nicht kannte, auf dem ich nicht wußte, wo ich war, war alles, was ich mir von der Zukunft dachte. Das Bild war nicht anziehend, aber auch nicht widrig. </p> <p>Was dem Unangenehmen das Uebergewicht gab, war das Schauervolle, was <hi rendition="#b">Ungewißheit</hi> immer mit sich fuͤhrt. Und hieraus entstand denn natuͤrlich der Wunsch, lieber noch von dieser Seite des Styx das gegenuͤber liegende Ufer etwas zu betrachten, als gleich uͤberzuschiffen. Kurz alles, was sich der Seele vormahlte, waren schwebende Bilder, die, nie ruhig, immer eins vor dem andern vorbeitanzten. Jn dem Augenblick, da sie vorschwebten, faͤllte die Seele schnelle Urtheile und Wahrnehmungen — denn sie war nicht matt, sie<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0078]
bus verschloß die Luftroͤhre, und den naͤchsten Augenblick waren alle die dunkeln Gegenstaͤnde um mich her verschwunden, ich lag ohne Bewegung und war der Erde entflohen. Jn dieser Gestalt mißfiel mir der Tod nicht, und ich machte noch mitten im Paroxismus die Bemerkung, ob es nicht Taͤuschung ist, daß wir den Tod fuͤrchten sollen; ob nicht Todesfurcht bei jedem, Schauer vor dem, was den Tod begleitet, vorhergeht, oder folget, sey?
Die Zukunft nach dem Tode wirkte gar nicht auf mich. Kein lebhafter Gedanke von Ewigkeit, Suͤnde, Strafe — nichts davon! Ein unabsehliches Blachfeld, das ich nicht kannte, auf dem ich nicht wußte, wo ich war, war alles, was ich mir von der Zukunft dachte. Das Bild war nicht anziehend, aber auch nicht widrig.
Was dem Unangenehmen das Uebergewicht gab, war das Schauervolle, was Ungewißheit immer mit sich fuͤhrt. Und hieraus entstand denn natuͤrlich der Wunsch, lieber noch von dieser Seite des Styx das gegenuͤber liegende Ufer etwas zu betrachten, als gleich uͤberzuschiffen. Kurz alles, was sich der Seele vormahlte, waren schwebende Bilder, die, nie ruhig, immer eins vor dem andern vorbeitanzten. Jn dem Augenblick, da sie vorschwebten, faͤllte die Seele schnelle Urtheile und Wahrnehmungen — denn sie war nicht matt, sie
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