Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieser Mann bekam nun den 10ten Juni 1781 frühmorgens den ersten Blutsturz, nachdem er vorher einige Tage an einem leichten Schnupfenfieber krank gewesen war. Sobald nur sein Körper einigermaßen in Ruhe war, so nahm seine Aufmerksamkeit wieder ihre gewohnte Lieblingsrichtung auf den innern Zustand seiner Seele an, (wie man aus den nachfolgenden Blättern sehen wird) welches ohne die vorhergehende Uebung und Gewohnheit schwerlich mit der Anhaltsamkeit und Deutlichkeit möglich gewesen wäre.

So gefährlich indessen auch sein Zustand war, so ließ er nicht das mindeste von Kleinmuth merken. Jhm wurde nun ein sehr strenges Verhalten von seinen Aerzten verordnet, welches er auf das pünktlichste erfüllte; er vermied jede, auch die geringste Bewegung, lag fast unbeweglich still, sprach kein Wort, und alles, was er genoß, wurde mit der größten Sorgfalt abgemessen, damit er ja nichts mehr bekam, als er durfte, und damit er auf diese Art alle Pflichten der Selbsterhaltung erfüllte, die er sich und den seinigen schuldig war -- er lebte damals fast blos von dickgekochtem Haberschleim.

Eben so suchte er auch seinen Geist in der gleichförmigsten Ruhe zu erhalten, und vermied jeden Anlas zu starken Empfindungen. Dieser Zustand der Unthätigkeit und Unbeweglichkeit währte ungefähr vier Wochen, während welchen er einige Rückfälle der Krankheit hatte. Endlich schien die Lunge


Dieser Mann bekam nun den 10ten Juni 1781 fruͤhmorgens den ersten Blutsturz, nachdem er vorher einige Tage an einem leichten Schnupfenfieber krank gewesen war. Sobald nur sein Koͤrper einigermaßen in Ruhe war, so nahm seine Aufmerksamkeit wieder ihre gewohnte Lieblingsrichtung auf den innern Zustand seiner Seele an, (wie man aus den nachfolgenden Blaͤttern sehen wird) welches ohne die vorhergehende Uebung und Gewohnheit schwerlich mit der Anhaltsamkeit und Deutlichkeit moͤglich gewesen waͤre.

So gefaͤhrlich indessen auch sein Zustand war, so ließ er nicht das mindeste von Kleinmuth merken. Jhm wurde nun ein sehr strenges Verhalten von seinen Aerzten verordnet, welches er auf das puͤnktlichste erfuͤllte; er vermied jede, auch die geringste Bewegung, lag fast unbeweglich still, sprach kein Wort, und alles, was er genoß, wurde mit der groͤßten Sorgfalt abgemessen, damit er ja nichts mehr bekam, als er durfte, und damit er auf diese Art alle Pflichten der Selbsterhaltung erfuͤllte, die er sich und den seinigen schuldig war — er lebte damals fast blos von dickgekochtem Haberschleim.

Eben so suchte er auch seinen Geist in der gleichfoͤrmigsten Ruhe zu erhalten, und vermied jeden Anlas zu starken Empfindungen. Dieser Zustand der Unthaͤtigkeit und Unbeweglichkeit waͤhrte ungefaͤhr vier Wochen, waͤhrend welchen er einige Ruͤckfaͤlle der Krankheit hatte. Endlich schien die Lunge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0067" n="67"/><lb/>
            <p>Dieser Mann bekam nun den 10ten Juni 1781 fru&#x0364;hmorgens den ersten Blutsturz,                   nachdem er vorher einige Tage an einem leichten Schnupfenfieber krank gewesen war.                   Sobald nur sein Ko&#x0364;rper einigermaßen in Ruhe war, so nahm seine Aufmerksamkeit                   wieder ihre gewohnte Lieblingsrichtung auf den innern Zustand seiner Seele an,                   (wie man aus den nachfolgenden Bla&#x0364;ttern sehen wird) welches ohne die vorhergehende                   Uebung und Gewohnheit schwerlich mit der Anhaltsamkeit und Deutlichkeit mo&#x0364;glich                   gewesen wa&#x0364;re. </p>
            <p>So gefa&#x0364;hrlich indessen auch sein Zustand war, so ließ er nicht das mindeste von                   Kleinmuth merken. Jhm wurde nun ein sehr strenges Verhalten von seinen Aerzten                   verordnet, welches er auf das pu&#x0364;nktlichste erfu&#x0364;llte; er vermied jede, auch die                   geringste Bewegung, lag fast unbeweglich still, sprach kein Wort, und alles, was                   er genoß, wurde mit der gro&#x0364;ßten Sorgfalt abgemessen, damit er ja nichts mehr                   bekam, als er durfte, und damit er auf diese Art alle Pflichten der                   Selbsterhaltung erfu&#x0364;llte, die er sich und den seinigen schuldig war &#x2014; er lebte                   damals fast blos von dickgekochtem Haberschleim. </p>
            <p>Eben so suchte er auch seinen Geist in der gleichfo&#x0364;rmigsten Ruhe zu erhalten, und                   vermied jeden Anlas zu starken Empfindungen. Dieser Zustand der Untha&#x0364;tigkeit und                   Unbeweglichkeit wa&#x0364;hrte ungefa&#x0364;hr vier Wochen, wa&#x0364;hrend welchen er einige Ru&#x0364;ckfa&#x0364;lle                   der Krankheit hatte. Endlich schien die Lunge<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0067] Dieser Mann bekam nun den 10ten Juni 1781 fruͤhmorgens den ersten Blutsturz, nachdem er vorher einige Tage an einem leichten Schnupfenfieber krank gewesen war. Sobald nur sein Koͤrper einigermaßen in Ruhe war, so nahm seine Aufmerksamkeit wieder ihre gewohnte Lieblingsrichtung auf den innern Zustand seiner Seele an, (wie man aus den nachfolgenden Blaͤttern sehen wird) welches ohne die vorhergehende Uebung und Gewohnheit schwerlich mit der Anhaltsamkeit und Deutlichkeit moͤglich gewesen waͤre. So gefaͤhrlich indessen auch sein Zustand war, so ließ er nicht das mindeste von Kleinmuth merken. Jhm wurde nun ein sehr strenges Verhalten von seinen Aerzten verordnet, welches er auf das puͤnktlichste erfuͤllte; er vermied jede, auch die geringste Bewegung, lag fast unbeweglich still, sprach kein Wort, und alles, was er genoß, wurde mit der groͤßten Sorgfalt abgemessen, damit er ja nichts mehr bekam, als er durfte, und damit er auf diese Art alle Pflichten der Selbsterhaltung erfuͤllte, die er sich und den seinigen schuldig war — er lebte damals fast blos von dickgekochtem Haberschleim. Eben so suchte er auch seinen Geist in der gleichfoͤrmigsten Ruhe zu erhalten, und vermied jeden Anlas zu starken Empfindungen. Dieser Zustand der Unthaͤtigkeit und Unbeweglichkeit waͤhrte ungefaͤhr vier Wochen, waͤhrend welchen er einige Ruͤckfaͤlle der Krankheit hatte. Endlich schien die Lunge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/67
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/67>, abgerufen am 24.11.2024.