Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Appetit gegessen, an dem es ihm überhaupt nicht fehlte. Um zwei Uhr empfing er den Besuch sehr vergnügt, sprach mitunter ordentlich und verlangte kurz darauf wieder Essen: weil ihm wegen des Medicin-Gebrauchs solches nicht gegeben werden durfte, fing er sogleich wieder an, zu schimpfen und zu lermen, welches sich in heftiges Weinen fünf viertel Stunden lang abänderte, wobei er über heftiges Kopfweh klagte, wieder vom Sterben sprach und viel Wasser mit Himbeeressig vermischt trank. Hierauf ward er ruhiger und brauchte auch willig Arzenei. Als er um sieben Suppe gegessen hatte, wollte er die Butterschnitte nicht nehmen, weil sie zu klein, und selbige von schwarzem Brod oder Semmel seyn sollte; tobend schrie er darnach, und die Ruthe mußte wieder herbeigeholt werden, worauf dieser vorher weinerliche und hernach lermende Paroxismus sich in volle Lustbarkeit verwandelte, und er stark und viel lachte.

Der Großvater ging hierauf wieder zu ihm, den er gut empfing, aber viel untereinander schwärmete, und erst am Morgen um vier Uhr einschlief. Zwei Tage drauf gingen ziemlich ruhig vorüber, so auch die Nächte, und es fanden sich anhaltendere, zusammenhängendere Gedanken ein. Hierbei fällt mir die Bemerkung ein, von dem außerordentlich feinen Gehör, so wie der lebhaften Einbildungs- und Erinnerungskraft, die er auch bei dem heftigsten Paroxismus zeigte. Sehr oft ging ich ohne


Appetit gegessen, an dem es ihm uͤberhaupt nicht fehlte. Um zwei Uhr empfing er den Besuch sehr vergnuͤgt, sprach mitunter ordentlich und verlangte kurz darauf wieder Essen: weil ihm wegen des Medicin-Gebrauchs solches nicht gegeben werden durfte, fing er sogleich wieder an, zu schimpfen und zu lermen, welches sich in heftiges Weinen fuͤnf viertel Stunden lang abaͤnderte, wobei er uͤber heftiges Kopfweh klagte, wieder vom Sterben sprach und viel Wasser mit Himbeeressig vermischt trank. Hierauf ward er ruhiger und brauchte auch willig Arzenei. Als er um sieben Suppe gegessen hatte, wollte er die Butterschnitte nicht nehmen, weil sie zu klein, und selbige von schwarzem Brod oder Semmel seyn sollte; tobend schrie er darnach, und die Ruthe mußte wieder herbeigeholt werden, worauf dieser vorher weinerliche und hernach lermende Paroxismus sich in volle Lustbarkeit verwandelte, und er stark und viel lachte.

Der Großvater ging hierauf wieder zu ihm, den er gut empfing, aber viel untereinander schwaͤrmete, und erst am Morgen um vier Uhr einschlief. Zwei Tage drauf gingen ziemlich ruhig voruͤber, so auch die Naͤchte, und es fanden sich anhaltendere, zusammenhaͤngendere Gedanken ein. Hierbei faͤllt mir die Bemerkung ein, von dem außerordentlich feinen Gehoͤr, so wie der lebhaften Einbildungs- und Erinnerungskraft, die er auch bei dem heftigsten Paroxismus zeigte. Sehr oft ging ich ohne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0037" n="37"/><lb/>
Appetit gegessen, an dem es ihm                   u&#x0364;berhaupt nicht fehlte. Um zwei Uhr empfing er den Besuch sehr vergnu&#x0364;gt, sprach                   mitunter ordentlich und verlangte kurz darauf wieder Essen: weil ihm wegen des                   Medicin-Gebrauchs solches nicht gegeben werden durfte, fing er sogleich wieder an,                   zu schimpfen und zu lermen, welches sich in heftiges Weinen fu&#x0364;nf viertel Stunden                   lang aba&#x0364;nderte, wobei er u&#x0364;ber heftiges Kopfweh klagte, wieder vom Sterben sprach                   und viel Wasser mit Himbeeressig vermischt trank. Hierauf ward er ruhiger und                   brauchte auch willig Arzenei. Als er um sieben Suppe gegessen hatte, wollte er die                   Butterschnitte nicht nehmen, weil sie zu klein, und selbige von schwarzem Brod                   oder Semmel seyn sollte; tobend schrie er darnach, und die Ruthe mußte wieder                   herbeigeholt werden, worauf dieser vorher weinerliche und hernach lermende                   Paroxismus sich in volle Lustbarkeit verwandelte, und er stark und viel lachte. </p>
            <p>Der Großvater ging hierauf wieder zu ihm, den er gut empfing, aber viel                   untereinander schwa&#x0364;rmete, und erst am Morgen um vier Uhr einschlief. Zwei Tage                   drauf gingen ziemlich ruhig voru&#x0364;ber, so auch die Na&#x0364;chte, und es fanden sich                   anhaltendere, zusammenha&#x0364;ngendere Gedanken ein. Hierbei fa&#x0364;llt mir die Bemerkung                   ein, von dem außerordentlich feinen Geho&#x0364;r, so wie der lebhaften Einbildungs- und                   Erinnerungskraft, die er auch bei dem heftigsten Paroxismus zeigte. Sehr oft ging                   ich ohne<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0037] Appetit gegessen, an dem es ihm uͤberhaupt nicht fehlte. Um zwei Uhr empfing er den Besuch sehr vergnuͤgt, sprach mitunter ordentlich und verlangte kurz darauf wieder Essen: weil ihm wegen des Medicin-Gebrauchs solches nicht gegeben werden durfte, fing er sogleich wieder an, zu schimpfen und zu lermen, welches sich in heftiges Weinen fuͤnf viertel Stunden lang abaͤnderte, wobei er uͤber heftiges Kopfweh klagte, wieder vom Sterben sprach und viel Wasser mit Himbeeressig vermischt trank. Hierauf ward er ruhiger und brauchte auch willig Arzenei. Als er um sieben Suppe gegessen hatte, wollte er die Butterschnitte nicht nehmen, weil sie zu klein, und selbige von schwarzem Brod oder Semmel seyn sollte; tobend schrie er darnach, und die Ruthe mußte wieder herbeigeholt werden, worauf dieser vorher weinerliche und hernach lermende Paroxismus sich in volle Lustbarkeit verwandelte, und er stark und viel lachte. Der Großvater ging hierauf wieder zu ihm, den er gut empfing, aber viel untereinander schwaͤrmete, und erst am Morgen um vier Uhr einschlief. Zwei Tage drauf gingen ziemlich ruhig voruͤber, so auch die Naͤchte, und es fanden sich anhaltendere, zusammenhaͤngendere Gedanken ein. Hierbei faͤllt mir die Bemerkung ein, von dem außerordentlich feinen Gehoͤr, so wie der lebhaften Einbildungs- und Erinnerungskraft, die er auch bei dem heftigsten Paroxismus zeigte. Sehr oft ging ich ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/37
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/37>, abgerufen am 18.12.2024.