Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Am zehnten Tage riethen Arzt und Prediger an, wir Eltern sollten uns nicht vor ihm mehr sehen lassen, wenn er auch noch so heftig nach uns verlangte: dieß geschah, und er schickte mehrmalen nach uns, schrie heftig, daß wir kommen sollten, und lermte den Tag über wie sonst bis in die Nacht ohne Unterlaß, und schlief darauf einige Stunden. Am eilften Tage nahm er ein abführendes Pulver früh, welches Abends wirkte, die spanischen Fliegen wurden geschärft, und die rasende Wuth fing an, sich zu mindern. Diesen Nachmittag ward er weichmüthig, wünschte uns zu sehen, sprach von Sterben, als etwas, das gewiß erfolgen würde, sehnte sich nach mir vorzüglich, doch immer im alten verworrenen Zustand, und abwechselnd mit Weinen und Lachen, und Untermischung eines frölichen Liedes oder Gesanges. Der darauf folgende Tag war ziemlich ruhig, auch die Nacht: Nur Liebe, Wollusthang und der
Am zehnten Tage riethen Arzt und Prediger an, wir Eltern sollten uns nicht vor ihm mehr sehen lassen, wenn er auch noch so heftig nach uns verlangte: dieß geschah, und er schickte mehrmalen nach uns, schrie heftig, daß wir kommen sollten, und lermte den Tag uͤber wie sonst bis in die Nacht ohne Unterlaß, und schlief darauf einige Stunden. Am eilften Tage nahm er ein abfuͤhrendes Pulver fruͤh, welches Abends wirkte, die spanischen Fliegen wurden geschaͤrft, und die rasende Wuth fing an, sich zu mindern. Diesen Nachmittag ward er weichmuͤthig, wuͤnschte uns zu sehen, sprach von Sterben, als etwas, das gewiß erfolgen wuͤrde, sehnte sich nach mir vorzuͤglich, doch immer im alten verworrenen Zustand, und abwechselnd mit Weinen und Lachen, und Untermischung eines froͤlichen Liedes oder Gesanges. Der darauf folgende Tag war ziemlich ruhig, auch die Nacht: Nur Liebe, Wollusthang und der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0034" n="34"/><lb/> wo er etwas schlief; doch war sein Schlaf von keiner Dauer und auch von keinem besseren Erfolg; denn beim Erwachen rasete er wie vorher fort, mitunter aͤußerte er onanitische Wollusttriebe, und die Unterlassung mußte mit Schaͤrfe bewirket werden, sang lustige Arien und war Husar und unser Verlaͤumder, vertraute den Waͤchtern Wahrheiten und Unwahrheiten an, und blieb gegen selbige meist gut gesinnt, wenn sie auch zur thaͤtigen Bestrafung geschritten waren. </p> <p>Am zehnten Tage riethen Arzt und Prediger an, wir Eltern sollten uns nicht vor ihm mehr sehen lassen, wenn er auch noch so heftig nach uns verlangte: dieß geschah, und er schickte mehrmalen nach uns, schrie heftig, daß wir kommen sollten, und lermte den Tag uͤber wie sonst bis in die Nacht ohne Unterlaß, und schlief darauf einige Stunden. </p> <p>Am eilften Tage nahm er ein abfuͤhrendes Pulver fruͤh, welches Abends wirkte, die spanischen Fliegen wurden geschaͤrft, und die rasende Wuth fing an, sich zu mindern. Diesen Nachmittag ward er weichmuͤthig, wuͤnschte uns zu sehen, sprach von Sterben, als etwas, das gewiß erfolgen wuͤrde, sehnte sich nach mir vorzuͤglich, doch immer im alten verworrenen Zustand, und abwechselnd mit Weinen und Lachen, und Untermischung eines froͤlichen Liedes oder Gesanges. </p> <p>Der darauf folgende Tag war ziemlich ruhig, auch die Nacht: Nur Liebe, Wollusthang und der<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0034]
wo er etwas schlief; doch war sein Schlaf von keiner Dauer und auch von keinem besseren Erfolg; denn beim Erwachen rasete er wie vorher fort, mitunter aͤußerte er onanitische Wollusttriebe, und die Unterlassung mußte mit Schaͤrfe bewirket werden, sang lustige Arien und war Husar und unser Verlaͤumder, vertraute den Waͤchtern Wahrheiten und Unwahrheiten an, und blieb gegen selbige meist gut gesinnt, wenn sie auch zur thaͤtigen Bestrafung geschritten waren.
Am zehnten Tage riethen Arzt und Prediger an, wir Eltern sollten uns nicht vor ihm mehr sehen lassen, wenn er auch noch so heftig nach uns verlangte: dieß geschah, und er schickte mehrmalen nach uns, schrie heftig, daß wir kommen sollten, und lermte den Tag uͤber wie sonst bis in die Nacht ohne Unterlaß, und schlief darauf einige Stunden.
Am eilften Tage nahm er ein abfuͤhrendes Pulver fruͤh, welches Abends wirkte, die spanischen Fliegen wurden geschaͤrft, und die rasende Wuth fing an, sich zu mindern. Diesen Nachmittag ward er weichmuͤthig, wuͤnschte uns zu sehen, sprach von Sterben, als etwas, das gewiß erfolgen wuͤrde, sehnte sich nach mir vorzuͤglich, doch immer im alten verworrenen Zustand, und abwechselnd mit Weinen und Lachen, und Untermischung eines froͤlichen Liedes oder Gesanges.
Der darauf folgende Tag war ziemlich ruhig, auch die Nacht: Nur Liebe, Wollusthang und der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |