Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Zuletzt kam er auf das Thema seiner, wegen der bevorstehenden Beziehung der Akademie, in Versen auszuarbeitenden Schulabschiedsrede, und zeigte mir in seinem Portefeuille einen kurzen bereits gemachten Anfang, der noch keiner Beurtheilung fähig war: hiebei aber las er ein bei Freunden auf dem Lande kürzlich verfertiges Gedicht vor, weshalb er vermeinte, Beifall bei der Frau vom Haus erhalten zu haben, ich aber fand deutliche Spuren des geschwächten Kopfs darinnen. Ueberhaupt leuchtete viele Selbstzufriedenheit und Bewustseyn seines Jchs bei der Unterredung herfür, und da ich äusserlich dem Gedichtchen beipflichtete, so heiterte sich seine vorher etwas starre Miene völlig auf, und er ward vergnügt. Gegen die Mutter hatte er während meiner Abwesenheit Händel erzählet, die er in der verlassenen Schule mit Lehrern, so wie mit dem Arzt kurz vor seiner Abreise gehabt habe, doch sie gebeten, mir davon nichts zu erwähnen: die gleiche Erzählung machte er den andern Nachmittag einem Vetter, doch mit demselbigen Ersuchen von Verschwiegenheit gegen mich. Jn einem Zimmer legten wir uns zusammen nieder, kaum war eine Stunde vorbei, so setzte er sich hin, um zu schreiben. Jch frug ihn, was er
Zuletzt kam er auf das Thema seiner, wegen der bevorstehenden Beziehung der Akademie, in Versen auszuarbeitenden Schulabschiedsrede, und zeigte mir in seinem Portefeuille einen kurzen bereits gemachten Anfang, der noch keiner Beurtheilung faͤhig war: hiebei aber las er ein bei Freunden auf dem Lande kuͤrzlich verfertiges Gedicht vor, weshalb er vermeinte, Beifall bei der Frau vom Haus erhalten zu haben, ich aber fand deutliche Spuren des geschwaͤchten Kopfs darinnen. Ueberhaupt leuchtete viele Selbstzufriedenheit und Bewustseyn seines Jchs bei der Unterredung herfuͤr, und da ich aͤusserlich dem Gedichtchen beipflichtete, so heiterte sich seine vorher etwas starre Miene voͤllig auf, und er ward vergnuͤgt. Gegen die Mutter hatte er waͤhrend meiner Abwesenheit Haͤndel erzaͤhlet, die er in der verlassenen Schule mit Lehrern, so wie mit dem Arzt kurz vor seiner Abreise gehabt habe, doch sie gebeten, mir davon nichts zu erwaͤhnen: die gleiche Erzaͤhlung machte er den andern Nachmittag einem Vetter, doch mit demselbigen Ersuchen von Verschwiegenheit gegen mich. Jn einem Zimmer legten wir uns zusammen nieder, kaum war eine Stunde vorbei, so setzte er sich hin, um zu schreiben. Jch frug ihn, was er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0021" n="21"/><lb/> und von den Zuruͤckgelassenen mancherlei erzaͤhlte, zwar ordentlich, doch mit geschwinderem und lauterem Ton, als sein natuͤrlicher war. </p> <p>Zuletzt kam er auf das Thema seiner, wegen der bevorstehenden Beziehung der Akademie, in Versen auszuarbeitenden Schulabschiedsrede, und zeigte mir in seinem Portefeuille einen kurzen bereits gemachten Anfang, der noch keiner Beurtheilung faͤhig war: hiebei aber las er ein bei Freunden auf dem Lande kuͤrzlich verfertiges Gedicht vor, weshalb er vermeinte, Beifall bei der Frau vom Haus erhalten zu haben, ich aber fand deutliche Spuren des geschwaͤchten Kopfs darinnen. </p> <p>Ueberhaupt leuchtete viele Selbstzufriedenheit und Bewustseyn seines Jchs bei der Unterredung herfuͤr, und da ich aͤusserlich dem Gedichtchen beipflichtete, so heiterte sich seine vorher etwas starre Miene voͤllig auf, und er ward vergnuͤgt. </p> <p>Gegen die Mutter hatte er waͤhrend meiner Abwesenheit Haͤndel erzaͤhlet, die er in der verlassenen Schule mit Lehrern, so wie mit dem Arzt kurz vor seiner Abreise gehabt habe, doch sie gebeten, mir davon nichts zu erwaͤhnen: die gleiche Erzaͤhlung machte er den andern Nachmittag einem Vetter, doch mit demselbigen Ersuchen von Verschwiegenheit gegen mich. </p> <p>Jn einem Zimmer legten wir uns zusammen nieder, kaum war eine Stunde vorbei, so setzte er sich hin, um zu schreiben. Jch frug ihn, was er<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0021]
und von den Zuruͤckgelassenen mancherlei erzaͤhlte, zwar ordentlich, doch mit geschwinderem und lauterem Ton, als sein natuͤrlicher war.
Zuletzt kam er auf das Thema seiner, wegen der bevorstehenden Beziehung der Akademie, in Versen auszuarbeitenden Schulabschiedsrede, und zeigte mir in seinem Portefeuille einen kurzen bereits gemachten Anfang, der noch keiner Beurtheilung faͤhig war: hiebei aber las er ein bei Freunden auf dem Lande kuͤrzlich verfertiges Gedicht vor, weshalb er vermeinte, Beifall bei der Frau vom Haus erhalten zu haben, ich aber fand deutliche Spuren des geschwaͤchten Kopfs darinnen.
Ueberhaupt leuchtete viele Selbstzufriedenheit und Bewustseyn seines Jchs bei der Unterredung herfuͤr, und da ich aͤusserlich dem Gedichtchen beipflichtete, so heiterte sich seine vorher etwas starre Miene voͤllig auf, und er ward vergnuͤgt.
Gegen die Mutter hatte er waͤhrend meiner Abwesenheit Haͤndel erzaͤhlet, die er in der verlassenen Schule mit Lehrern, so wie mit dem Arzt kurz vor seiner Abreise gehabt habe, doch sie gebeten, mir davon nichts zu erwaͤhnen: die gleiche Erzaͤhlung machte er den andern Nachmittag einem Vetter, doch mit demselbigen Ersuchen von Verschwiegenheit gegen mich.
Jn einem Zimmer legten wir uns zusammen nieder, kaum war eine Stunde vorbei, so setzte er sich hin, um zu schreiben. Jch frug ihn, was er
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/21>, abgerufen am 16.07.2024. |