Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Man hatte an dem Ort, wo er herkam, die Unvorsichtigkeit begangen -- vermuthlich aus verlegener Beängstigung -- meinen Sohn so plötzlich abzuschicken, ohne mich von seinem wahren Zustande vorhero benachrichtiget zu haben, und ein kurzer mitgegebener Brief zeigte bloß an, nach seinem Verlangen und zu seiner völligen Erholung käme er zu uns, so wie sein Begleiter, mit dem ich alleine sprach, nur angab, widersprechen ließe er sich nicht gern. Erst zwei Tage darauf langte mit der Post die wahre Nachricht von seinem Zustand, des Arztes Krankheitsgeschichte an. Jndem ich kaum mit dem Begleiter zu sprechen angefangen hatte, kam er sogleich nach und frug mich französisch: "warum ich mit selbigem besonders spräche? das wäre überflüßig und ihm unangenehm, er könne und würde mir alles selbst sagen und beantworten." Bei Ueberreichung des Schreibens wollte er ihn auch lesen, welches ich zuließ, und da er an die Worte kam: "daß seinem Verlangen gemäß er zur Zerstreuung und völligen Erholung sich einige Wochen bei uns aufhalten würde, so sagte er: ja, lieber Vater, so ist es." Wir setzten uns hierauf zum Abendbrod, wobei er sehr gesprächig wurde, sogleich die ihm noch vorgeschriebene Diät von selbst angab,
Man hatte an dem Ort, wo er herkam, die Unvorsichtigkeit begangen — vermuthlich aus verlegener Beaͤngstigung — meinen Sohn so ploͤtzlich abzuschicken, ohne mich von seinem wahren Zustande vorhero benachrichtiget zu haben, und ein kurzer mitgegebener Brief zeigte bloß an, nach seinem Verlangen und zu seiner voͤlligen Erholung kaͤme er zu uns, so wie sein Begleiter, mit dem ich alleine sprach, nur angab, widersprechen ließe er sich nicht gern. Erst zwei Tage darauf langte mit der Post die wahre Nachricht von seinem Zustand, des Arztes Krankheitsgeschichte an. Jndem ich kaum mit dem Begleiter zu sprechen angefangen hatte, kam er sogleich nach und frug mich franzoͤsisch: »warum ich mit selbigem besonders spraͤche? das waͤre uͤberfluͤßig und ihm unangenehm, er koͤnne und wuͤrde mir alles selbst sagen und beantworten.« Bei Ueberreichung des Schreibens wollte er ihn auch lesen, welches ich zuließ, und da er an die Worte kam: »daß seinem Verlangen gemaͤß er zur Zerstreuung und voͤlligen Erholung sich einige Wochen bei uns aufhalten wuͤrde, so sagte er: ja, lieber Vater, so ist es.« Wir setzten uns hierauf zum Abendbrod, wobei er sehr gespraͤchig wurde, sogleich die ihm noch vorgeschriebene Diaͤt von selbst angab, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0020" n="20"/><lb/> indessen sei es, dieser einmal angesponnene Faden mag so fortgezogen werden, und gewiß wird er ohne fremden Zusatz abgesponnen werden. </p> <p>Man hatte an dem Ort, wo er herkam, die Unvorsichtigkeit begangen — vermuthlich aus verlegener Beaͤngstigung — meinen Sohn so ploͤtzlich abzuschicken, ohne mich von seinem wahren Zustande vorhero benachrichtiget zu haben, und ein kurzer mitgegebener Brief zeigte bloß an, nach seinem Verlangen und zu seiner voͤlligen Erholung kaͤme er zu uns, so wie sein Begleiter, mit dem ich alleine sprach, nur angab, widersprechen ließe er sich nicht gern. </p> <p>Erst zwei Tage darauf langte mit der Post die wahre Nachricht von seinem Zustand, des Arztes Krankheitsgeschichte an. Jndem ich kaum mit dem Begleiter zu sprechen angefangen hatte, kam er sogleich nach und frug mich franzoͤsisch: »warum ich mit selbigem besonders spraͤche? das waͤre uͤberfluͤßig und ihm unangenehm, er koͤnne und wuͤrde mir alles selbst sagen und beantworten.« Bei Ueberreichung des Schreibens wollte er ihn auch lesen, welches ich zuließ, und da er an die Worte kam: »daß seinem Verlangen gemaͤß er zur Zerstreuung und voͤlligen Erholung sich einige Wochen bei uns aufhalten wuͤrde, so sagte er: ja, lieber Vater, so ist es.« Wir setzten uns hierauf zum Abendbrod, wobei er sehr gespraͤchig wurde, sogleich die ihm noch vorgeschriebene Diaͤt von selbst angab,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0020]
indessen sei es, dieser einmal angesponnene Faden mag so fortgezogen werden, und gewiß wird er ohne fremden Zusatz abgesponnen werden.
Man hatte an dem Ort, wo er herkam, die Unvorsichtigkeit begangen — vermuthlich aus verlegener Beaͤngstigung — meinen Sohn so ploͤtzlich abzuschicken, ohne mich von seinem wahren Zustande vorhero benachrichtiget zu haben, und ein kurzer mitgegebener Brief zeigte bloß an, nach seinem Verlangen und zu seiner voͤlligen Erholung kaͤme er zu uns, so wie sein Begleiter, mit dem ich alleine sprach, nur angab, widersprechen ließe er sich nicht gern.
Erst zwei Tage darauf langte mit der Post die wahre Nachricht von seinem Zustand, des Arztes Krankheitsgeschichte an. Jndem ich kaum mit dem Begleiter zu sprechen angefangen hatte, kam er sogleich nach und frug mich franzoͤsisch: »warum ich mit selbigem besonders spraͤche? das waͤre uͤberfluͤßig und ihm unangenehm, er koͤnne und wuͤrde mir alles selbst sagen und beantworten.« Bei Ueberreichung des Schreibens wollte er ihn auch lesen, welches ich zuließ, und da er an die Worte kam: »daß seinem Verlangen gemaͤß er zur Zerstreuung und voͤlligen Erholung sich einige Wochen bei uns aufhalten wuͤrde, so sagte er: ja, lieber Vater, so ist es.« Wir setzten uns hierauf zum Abendbrod, wobei er sehr gespraͤchig wurde, sogleich die ihm noch vorgeschriebene Diaͤt von selbst angab,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/20>, abgerufen am 17.02.2025. |