Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.II. Genesungsgeschichte eines Jünglings von einem dreimonathlichen Wahnwitz. Ein Jüngling von neunzehn Jahren, cholerisch-sanguinischen Temperaments, dessen Körper von Jugend auf stark und meist gesund, dessen Gemüth heiter war, und dem es nicht an Geisteskräften fehlte, bei welchen er durch anhaltenden Fleiß dasjenige hinreichend ersetzet hatte, was die Natur ihm an Geschwindigkeit, sich Begriffe zu eigen zu machen, versagte; der sich durch anständige Sitten überall beliebt gemacht, auch die Pflichten eines gehorsamen und wohlgearteten Sohnes gegen seinen Vater -- seine Mutter hatte er schon im 7ten Jahr seines Alters verlohren -- stets beobachtet hatte; wurde nach einem zu sehr angestrengten Schulfleiß hauptsächlich einige Monathe durch, wegen zweier ihm bevorstehenden öffentlichen Prüfungen, auf einmal, nach überstandener mit Ruhm vollendeter Uebung mit einer Schwere im Kopfe befallen, empfand Beängstigungen in der Brust, Trägheit in allen Gliedern, bekam einen vollen, langsamen, harten Puls, die Ausleerungen des Körpers wurden wenig und selten, der Appetit zum Essen geringer, der Nachtschlaf abwechselnd bald sehr unruhig und kurz, bald sehr tief und lang anhaltend. II. Genesungsgeschichte eines Juͤnglings von einem dreimonathlichen Wahnwitz. Ein Juͤngling von neunzehn Jahren, cholerisch-sanguinischen Temperaments, dessen Koͤrper von Jugend auf stark und meist gesund, dessen Gemuͤth heiter war, und dem es nicht an Geisteskraͤften fehlte, bei welchen er durch anhaltenden Fleiß dasjenige hinreichend ersetzet hatte, was die Natur ihm an Geschwindigkeit, sich Begriffe zu eigen zu machen, versagte; der sich durch anstaͤndige Sitten uͤberall beliebt gemacht, auch die Pflichten eines gehorsamen und wohlgearteten Sohnes gegen seinen Vater — seine Mutter hatte er schon im 7ten Jahr seines Alters verlohren — stets beobachtet hatte; wurde nach einem zu sehr angestrengten Schulfleiß hauptsaͤchlich einige Monathe durch, wegen zweier ihm bevorstehenden oͤffentlichen Pruͤfungen, auf einmal, nach uͤberstandener mit Ruhm vollendeter Uebung mit einer Schwere im Kopfe befallen, empfand Beaͤngstigungen in der Brust, Traͤgheit in allen Gliedern, bekam einen vollen, langsamen, harten Puls, die Ausleerungen des Koͤrpers wurden wenig und selten, der Appetit zum Essen geringer, der Nachtschlaf abwechselnd bald sehr unruhig und kurz, bald sehr tief und lang anhaltend. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0015" n="15"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head><hi rendition="#aq">II</hi>. Genesungsgeschichte eines Juͤnglings von einem dreimonathlichen Wahnwitz.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref85"><note type="editorial"/>Anonym</persName> </bibl> </note> <p>Ein Juͤngling von neunzehn Jahren, cholerisch-sanguinischen Temperaments, dessen Koͤrper von Jugend auf stark und meist gesund, dessen Gemuͤth heiter war, und dem es nicht an Geisteskraͤften fehlte, bei welchen er durch anhaltenden Fleiß dasjenige hinreichend ersetzet hatte, was die Natur ihm an Geschwindigkeit, sich Begriffe zu eigen zu machen, versagte; der sich durch anstaͤndige Sitten uͤberall beliebt gemacht, auch die Pflichten eines gehorsamen und wohlgearteten Sohnes gegen seinen Vater — seine Mutter hatte er schon im 7ten Jahr seines Alters verlohren — stets beobachtet hatte; wurde nach einem zu sehr angestrengten Schulfleiß hauptsaͤchlich einige Monathe durch, wegen zweier ihm bevorstehenden oͤffentlichen Pruͤfungen, auf einmal, nach uͤberstandener mit Ruhm vollendeter Uebung mit einer Schwere im Kopfe befallen, empfand Beaͤngstigungen in der Brust, Traͤgheit in allen Gliedern, bekam einen vollen, langsamen, harten Puls, die Ausleerungen des Koͤrpers wurden wenig und selten, der Appetit zum Essen geringer, der Nachtschlaf abwechselnd bald sehr unruhig und kurz, bald sehr tief und lang anhaltend. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
II. Genesungsgeschichte eines Juͤnglings von einem dreimonathlichen Wahnwitz.
Ein Juͤngling von neunzehn Jahren, cholerisch-sanguinischen Temperaments, dessen Koͤrper von Jugend auf stark und meist gesund, dessen Gemuͤth heiter war, und dem es nicht an Geisteskraͤften fehlte, bei welchen er durch anhaltenden Fleiß dasjenige hinreichend ersetzet hatte, was die Natur ihm an Geschwindigkeit, sich Begriffe zu eigen zu machen, versagte; der sich durch anstaͤndige Sitten uͤberall beliebt gemacht, auch die Pflichten eines gehorsamen und wohlgearteten Sohnes gegen seinen Vater — seine Mutter hatte er schon im 7ten Jahr seines Alters verlohren — stets beobachtet hatte; wurde nach einem zu sehr angestrengten Schulfleiß hauptsaͤchlich einige Monathe durch, wegen zweier ihm bevorstehenden oͤffentlichen Pruͤfungen, auf einmal, nach uͤberstandener mit Ruhm vollendeter Uebung mit einer Schwere im Kopfe befallen, empfand Beaͤngstigungen in der Brust, Traͤgheit in allen Gliedern, bekam einen vollen, langsamen, harten Puls, die Ausleerungen des Koͤrpers wurden wenig und selten, der Appetit zum Essen geringer, der Nachtschlaf abwechselnd bald sehr unruhig und kurz, bald sehr tief und lang anhaltend.
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