Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Nun starb ihre Schwester, die sie bisher bei sich gehabt hatte -- da diese Personen kein Vermögen hatten, und meist von andrer Wohlthaten lebten, so ward die Unglückliche zu ihres Vaters Bruder, der als ihr nächster noch lebender Verwandter für sie sorgen sollte, und auch die Vermögensumstände dazu besaß, geschickt; dieser aber hatte sie mit vielem Ungestüm von sich gewiesen, und sie ward wieder zurück nach H......t gebracht, wo sie in das Hospital gegeben wurde; bei dem Tode ihrer Schwester und bei dem harten Betragen ihrer Verwandten hatte sie heftig geweinet, welches sie sonst nicht gethan, da sie nur zwei Leidenschaften in ihrer Thorheit zeigte, entweder viele Freude und Lachen, oder ein mürrisches Betragen. Schon vor dem Tode ihrer Schwester flüchtete ich mit meinen Eltern aus Schlesien, da die russische Armee durch Pohlen in diese Gegend kam; und ich kann daher nur noch erzählen, was mit dieser Person weiter vorfiel, weil ein Oncle von mir Augenzeuge davon gewesen. Diesen Oncle
Nun starb ihre Schwester, die sie bisher bei sich gehabt hatte — da diese Personen kein Vermoͤgen hatten, und meist von andrer Wohlthaten lebten, so ward die Ungluͤckliche zu ihres Vaters Bruder, der als ihr naͤchster noch lebender Verwandter fuͤr sie sorgen sollte, und auch die Vermoͤgensumstaͤnde dazu besaß, geschickt; dieser aber hatte sie mit vielem Ungestuͤm von sich gewiesen, und sie ward wieder zuruͤck nach H......t gebracht, wo sie in das Hospital gegeben wurde; bei dem Tode ihrer Schwester und bei dem harten Betragen ihrer Verwandten hatte sie heftig geweinet, welches sie sonst nicht gethan, da sie nur zwei Leidenschaften in ihrer Thorheit zeigte, entweder viele Freude und Lachen, oder ein muͤrrisches Betragen. Schon vor dem Tode ihrer Schwester fluͤchtete ich mit meinen Eltern aus Schlesien, da die russische Armee durch Pohlen in diese Gegend kam; und ich kann daher nur noch erzaͤhlen, was mit dieser Person weiter vorfiel, weil ein Oncle von mir Augenzeuge davon gewesen. Diesen Oncle <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0123" n="123"/><lb/> auf den Sitz des Stuhles zog, beide Haͤnde hielt sie an den Kopf und die Ellbogen setzte sie auf die Knie; es war besonders, daß sie in dieser Stellung Tagelang ohne sich zu bewegen sitzen konnte, diese Stellung auch nur die Nacht verließ. — </p> <p>Nun starb ihre Schwester, die sie bisher bei sich gehabt hatte — da diese Personen kein Vermoͤgen hatten, und meist von andrer Wohlthaten lebten, so ward die Ungluͤckliche zu ihres Vaters Bruder, der als ihr naͤchster noch lebender Verwandter fuͤr sie sorgen sollte, und auch die Vermoͤgensumstaͤnde dazu besaß, geschickt; dieser aber hatte sie mit vielem Ungestuͤm von sich gewiesen, und sie ward wieder zuruͤck nach H......t gebracht, wo sie in das Hospital gegeben wurde; bei dem Tode ihrer Schwester und bei dem harten Betragen ihrer Verwandten hatte sie heftig geweinet, welches sie sonst nicht gethan, da sie nur zwei Leidenschaften in ihrer Thorheit zeigte, entweder viele Freude und Lachen, oder ein muͤrrisches Betragen.</p> <p>Schon vor dem Tode ihrer Schwester fluͤchtete ich mit meinen Eltern aus Schlesien, da die russische Armee durch Pohlen in diese Gegend kam; und ich kann daher nur noch erzaͤhlen, was mit dieser Person weiter vorfiel, weil ein Oncle von mir Augenzeuge davon gewesen. Diesen Oncle<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [123/0123]
auf den Sitz des Stuhles zog, beide Haͤnde hielt sie an den Kopf und die Ellbogen setzte sie auf die Knie; es war besonders, daß sie in dieser Stellung Tagelang ohne sich zu bewegen sitzen konnte, diese Stellung auch nur die Nacht verließ. —
Nun starb ihre Schwester, die sie bisher bei sich gehabt hatte — da diese Personen kein Vermoͤgen hatten, und meist von andrer Wohlthaten lebten, so ward die Ungluͤckliche zu ihres Vaters Bruder, der als ihr naͤchster noch lebender Verwandter fuͤr sie sorgen sollte, und auch die Vermoͤgensumstaͤnde dazu besaß, geschickt; dieser aber hatte sie mit vielem Ungestuͤm von sich gewiesen, und sie ward wieder zuruͤck nach H......t gebracht, wo sie in das Hospital gegeben wurde; bei dem Tode ihrer Schwester und bei dem harten Betragen ihrer Verwandten hatte sie heftig geweinet, welches sie sonst nicht gethan, da sie nur zwei Leidenschaften in ihrer Thorheit zeigte, entweder viele Freude und Lachen, oder ein muͤrrisches Betragen.
Schon vor dem Tode ihrer Schwester fluͤchtete ich mit meinen Eltern aus Schlesien, da die russische Armee durch Pohlen in diese Gegend kam; und ich kann daher nur noch erzaͤhlen, was mit dieser Person weiter vorfiel, weil ein Oncle von mir Augenzeuge davon gewesen. Diesen Oncle
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/123>, abgerufen am 15.08.2024. |