Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Während dieser Zeit hat sie noch Briefe mit ihrem Liebhaber gewechselt, auch von ihm verschiedene Präsente erhalten, worunter das einemal Backwerk gewesen, wovon sie noch ihrer Schwester angeboten, die es aber nicht annehmen wollte; worauf sich die Nacht nach dem Genuß dieses Backwerkes eine Art von Melancholie bei dem Fräulein, und einige Tage darnach eine Wuth äußerte, auf die eine völlige Verwirrung des Verstandes erfolgte, die auch bei aller gebrauchten Medecin bei ihr unheilbar geblieben ist. Die Familie und die Schwester behaupteten zu der Zeit, da ich sie kennen lernte, noch immer, daß in diesem Backwerke etwas müsse gewesen seyn, was der gemeine Mann einen Liebestrank heist. Jn wie weit diese Sage ihren Grund hat, kann ich als Frauenzimmer nicht beurtheilen, ob ich schon glaube, daß es Betrüger geben mag, die leichtgläubigen Liebhabern und Liebhaberinnen schädliche Sachen als Mittel zu beständiger Liebe verschaffen, die aber dann eine so unglückliche Würkung, als eben diese, verursachen können. -- Doch wieder zu dem Betragen dieser Unglücklichen: da ich sie das erstemal sahe, mochte sie 38 bis 39 Jahr seyn; sie ging frei herum, da sie keinem Menschen etwas zu Leide that, und betrug sich Tage, auch oft Wochen lang ganz ordentlich, indem sie sich dann und wann mit Stricken beschäftigte; hingegen Waͤhrend dieser Zeit hat sie noch Briefe mit ihrem Liebhaber gewechselt, auch von ihm verschiedene Praͤsente erhalten, worunter das einemal Backwerk gewesen, wovon sie noch ihrer Schwester angeboten, die es aber nicht annehmen wollte; worauf sich die Nacht nach dem Genuß dieses Backwerkes eine Art von Melancholie bei dem Fraͤulein, und einige Tage darnach eine Wuth aͤußerte, auf die eine voͤllige Verwirrung des Verstandes erfolgte, die auch bei aller gebrauchten Medecin bei ihr unheilbar geblieben ist. Die Familie und die Schwester behaupteten zu der Zeit, da ich sie kennen lernte, noch immer, daß in diesem Backwerke etwas muͤsse gewesen seyn, was der gemeine Mann einen Liebestrank heist. Jn wie weit diese Sage ihren Grund hat, kann ich als Frauenzimmer nicht beurtheilen, ob ich schon glaube, daß es Betruͤger geben mag, die leichtglaͤubigen Liebhabern und Liebhaberinnen schaͤdliche Sachen als Mittel zu bestaͤndiger Liebe verschaffen, die aber dann eine so ungluͤckliche Wuͤrkung, als eben diese, verursachen koͤnnen. — Doch wieder zu dem Betragen dieser Ungluͤcklichen: da ich sie das erstemal sahe, mochte sie 38 bis 39 Jahr seyn; sie ging frei herum, da sie keinem Menschen etwas zu Leide that, und betrug sich Tage, auch oft Wochen lang ganz ordentlich, indem sie sich dann und wann mit Stricken beschaͤftigte; hingegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0121" n="121"/><lb/> <p>Waͤhrend dieser Zeit hat sie noch Briefe mit ihrem Liebhaber gewechselt, auch von ihm verschiedene Praͤsente erhalten, worunter das einemal Backwerk gewesen, wovon sie noch ihrer Schwester angeboten, die es aber nicht annehmen wollte; worauf sich die Nacht nach dem Genuß dieses Backwerkes eine Art von Melancholie bei dem Fraͤulein, und einige Tage darnach eine Wuth aͤußerte, auf die eine voͤllige Verwirrung des Verstandes erfolgte, die auch bei aller gebrauchten Medecin bei ihr unheilbar geblieben ist. </p> <p>Die Familie und die Schwester behaupteten zu der Zeit, da ich sie kennen lernte, noch immer, daß in diesem Backwerke etwas muͤsse gewesen seyn, was der gemeine Mann einen Liebestrank heist. Jn wie weit diese Sage ihren Grund hat, kann ich als Frauenzimmer nicht beurtheilen, ob ich schon glaube, daß es Betruͤger geben mag, die leichtglaͤubigen Liebhabern und Liebhaberinnen schaͤdliche Sachen als Mittel zu bestaͤndiger Liebe verschaffen, die aber dann eine so ungluͤckliche Wuͤrkung, als eben diese, verursachen koͤnnen. — </p> <p>Doch wieder zu dem Betragen dieser Ungluͤcklichen: da ich sie das erstemal sahe, mochte sie 38 bis 39 Jahr seyn; sie ging frei herum, da sie keinem Menschen etwas zu Leide that, und betrug sich Tage, auch oft Wochen lang ganz ordentlich, indem sie sich dann und wann mit Stricken beschaͤftigte; hingegen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0121]
Waͤhrend dieser Zeit hat sie noch Briefe mit ihrem Liebhaber gewechselt, auch von ihm verschiedene Praͤsente erhalten, worunter das einemal Backwerk gewesen, wovon sie noch ihrer Schwester angeboten, die es aber nicht annehmen wollte; worauf sich die Nacht nach dem Genuß dieses Backwerkes eine Art von Melancholie bei dem Fraͤulein, und einige Tage darnach eine Wuth aͤußerte, auf die eine voͤllige Verwirrung des Verstandes erfolgte, die auch bei aller gebrauchten Medecin bei ihr unheilbar geblieben ist.
Die Familie und die Schwester behaupteten zu der Zeit, da ich sie kennen lernte, noch immer, daß in diesem Backwerke etwas muͤsse gewesen seyn, was der gemeine Mann einen Liebestrank heist. Jn wie weit diese Sage ihren Grund hat, kann ich als Frauenzimmer nicht beurtheilen, ob ich schon glaube, daß es Betruͤger geben mag, die leichtglaͤubigen Liebhabern und Liebhaberinnen schaͤdliche Sachen als Mittel zu bestaͤndiger Liebe verschaffen, die aber dann eine so ungluͤckliche Wuͤrkung, als eben diese, verursachen koͤnnen. —
Doch wieder zu dem Betragen dieser Ungluͤcklichen: da ich sie das erstemal sahe, mochte sie 38 bis 39 Jahr seyn; sie ging frei herum, da sie keinem Menschen etwas zu Leide that, und betrug sich Tage, auch oft Wochen lang ganz ordentlich, indem sie sich dann und wann mit Stricken beschaͤftigte; hingegen
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/121>, abgerufen am 15.08.2024. |