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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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Nach einer kurzen Rekapitulation dieser Gründe hielt ichs der Vorsicht gemäß, mein Urtheil über die vermeinthliche Ahndung meiner Freundin zur Zeit noch aufzuschieben, und abzuwarten, ob ich nicht noch mehrere Erfahrungen dieser Art machen könnte.

Jch nahm mir vor, das Betragen der Frau noch genauer zu beobachten, als es bisher geschehn war, um mich noch mehr von ihrer Denkungsart und besonders von den mancherlei Wirkungen ihres melancholischen Temperaments zu unterrichten, in der Hofnung, vielleicht auf diesem Wege die Quelle ihrer angeblichen Ahndung zu entdecken.

Jch war begierig, ob sich nicht etwa einmal der Fall ereignen würde, daß ihre Vorempfindung eines Unglücks ohne Erfolg bliebe, alsdann glaubt ich mich im Stande zu sehn, desto gründlicher von dem gehabten Auftritt urtheilen zu können.

Es vergingen einige Monathe darüber, ohne daß etwas Merkwürdiges vorfiel. Endlich trafs sichs, daß sie eines Tags, da sie auch sehr traurig war, und durch nichts konnte aufgeheitert werden, in meinem Beiseyn einen Brief erhielt. Ohne ihn nur angesehn zu haben, sagte sie schon im zuversichtlichsten Tone: daß er ganz gewiß ein unglückliche Nachricht für sie enthalten würde, und daß dieß gewiß die Ursach ihrer den ganzen Tag über gehabten Angst gewesen wäre.

Sie erbrach den Brief, und wie wunderte ich mich, als er wirklich eine verdrüßliche Nachricht


Nach einer kurzen Rekapitulation dieser Gruͤnde hielt ichs der Vorsicht gemaͤß, mein Urtheil uͤber die vermeinthliche Ahndung meiner Freundin zur Zeit noch aufzuschieben, und abzuwarten, ob ich nicht noch mehrere Erfahrungen dieser Art machen koͤnnte.

Jch nahm mir vor, das Betragen der Frau noch genauer zu beobachten, als es bisher geschehn war, um mich noch mehr von ihrer Denkungsart und besonders von den mancherlei Wirkungen ihres melancholischen Temperaments zu unterrichten, in der Hofnung, vielleicht auf diesem Wege die Quelle ihrer angeblichen Ahndung zu entdecken.

Jch war begierig, ob sich nicht etwa einmal der Fall ereignen wuͤrde, daß ihre Vorempfindung eines Ungluͤcks ohne Erfolg bliebe, alsdann glaubt ich mich im Stande zu sehn, desto gruͤndlicher von dem gehabten Auftritt urtheilen zu koͤnnen.

Es vergingen einige Monathe daruͤber, ohne daß etwas Merkwuͤrdiges vorfiel. Endlich trafs sichs, daß sie eines Tags, da sie auch sehr traurig war, und durch nichts konnte aufgeheitert werden, in meinem Beiseyn einen Brief erhielt. Ohne ihn nur angesehn zu haben, sagte sie schon im zuversichtlichsten Tone: daß er ganz gewiß ein ungluͤckliche Nachricht fuͤr sie enthalten wuͤrde, und daß dieß gewiß die Ursach ihrer den ganzen Tag uͤber gehabten Angst gewesen waͤre.

Sie erbrach den Brief, und wie wunderte ich mich, als er wirklich eine verdruͤßliche Nachricht

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[67/0069] Nach einer kurzen Rekapitulation dieser Gruͤnde hielt ichs der Vorsicht gemaͤß, mein Urtheil uͤber die vermeinthliche Ahndung meiner Freundin zur Zeit noch aufzuschieben, und abzuwarten, ob ich nicht noch mehrere Erfahrungen dieser Art machen koͤnnte. Jch nahm mir vor, das Betragen der Frau noch genauer zu beobachten, als es bisher geschehn war, um mich noch mehr von ihrer Denkungsart und besonders von den mancherlei Wirkungen ihres melancholischen Temperaments zu unterrichten, in der Hofnung, vielleicht auf diesem Wege die Quelle ihrer angeblichen Ahndung zu entdecken. Jch war begierig, ob sich nicht etwa einmal der Fall ereignen wuͤrde, daß ihre Vorempfindung eines Ungluͤcks ohne Erfolg bliebe, alsdann glaubt ich mich im Stande zu sehn, desto gruͤndlicher von dem gehabten Auftritt urtheilen zu koͤnnen. Es vergingen einige Monathe daruͤber, ohne daß etwas Merkwuͤrdiges vorfiel. Endlich trafs sichs, daß sie eines Tags, da sie auch sehr traurig war, und durch nichts konnte aufgeheitert werden, in meinem Beiseyn einen Brief erhielt. Ohne ihn nur angesehn zu haben, sagte sie schon im zuversichtlichsten Tone: daß er ganz gewiß ein ungluͤckliche Nachricht fuͤr sie enthalten wuͤrde, und daß dieß gewiß die Ursach ihrer den ganzen Tag uͤber gehabten Angst gewesen waͤre. Sie erbrach den Brief, und wie wunderte ich mich, als er wirklich eine verdruͤßliche Nachricht

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/69>, abgerufen am 27.11.2024.