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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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der petitio principii schuldig, indem ihr Beweiß gerade das Ding ist, darum noch gestritten wird.

Wer würde wohl sagen, daß ein Wesen, das nie gedacht hat, Verstand hätte? Oder um noch ein besseres Beispiel zu geben, wenn einer von den besagten Herrn in einer Gesellschaft wäre, wo es nun weder etwas zu distinguiren gäbe, noch daß von einer neuen Edition irgend eines alten Schriftstellers, noch von römischen und griechischen Antiquitäten auf eine seichte Art gesprochen würde, und er sich folglich bei so bewandten Umständen entschliessen müßte, keinen Laut von sich hören zu lassen, würde er da nicht für die Gesellschaft so gut, als nicht da seyn? Und wenn er nun durch irgend einen Talismann seine pedantische Figur noch dazu verunsichtbaren könnte, würde es da nicht vollends unmöglich seyn, seine Gegenwart zu beweisen?

Alles sehr handgreiflich, denk' ich, allein da es nun einmal im 18ten Jahrhundert noch Gelehrte giebt, die vor übermäßiger Gelehrsamkeit sehr oft das handgreifliche für unbegreiflich halten, so muß man sich schon darin fügen, daß man sucht, ihren etwanigen nonsensikalischen Einwürfen schon im voraus zu begegnen, um den werthen Herren aus christlicher Liebe Papier und Dinte zu ersparen.

Wenn es also nicht geläugnet werden kann, daß man bei den mehresten Menschen auch nicht die geringste Spur von einem Ahndungsvermögen an-


der petitio principii schuldig, indem ihr Beweiß gerade das Ding ist, darum noch gestritten wird.

Wer wuͤrde wohl sagen, daß ein Wesen, das nie gedacht hat, Verstand haͤtte? Oder um noch ein besseres Beispiel zu geben, wenn einer von den besagten Herrn in einer Gesellschaft waͤre, wo es nun weder etwas zu distinguiren gaͤbe, noch daß von einer neuen Edition irgend eines alten Schriftstellers, noch von roͤmischen und griechischen Antiquitaͤten auf eine seichte Art gesprochen wuͤrde, und er sich folglich bei so bewandten Umstaͤnden entschliessen muͤßte, keinen Laut von sich hoͤren zu lassen, wuͤrde er da nicht fuͤr die Gesellschaft so gut, als nicht da seyn? Und wenn er nun durch irgend einen Talismann seine pedantische Figur noch dazu verunsichtbaren koͤnnte, wuͤrde es da nicht vollends unmoͤglich seyn, seine Gegenwart zu beweisen?

Alles sehr handgreiflich, denk' ich, allein da es nun einmal im 18ten Jahrhundert noch Gelehrte giebt, die vor uͤbermaͤßiger Gelehrsamkeit sehr oft das handgreifliche fuͤr unbegreiflich halten, so muß man sich schon darin fuͤgen, daß man sucht, ihren etwanigen nonsensikalischen Einwuͤrfen schon im voraus zu begegnen, um den werthen Herren aus christlicher Liebe Papier und Dinte zu ersparen.

Wenn es also nicht gelaͤugnet werden kann, daß man bei den mehresten Menschen auch nicht die geringste Spur von einem Ahndungsvermoͤgen an-

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[62/0064] der petitio principii schuldig, indem ihr Beweiß gerade das Ding ist, darum noch gestritten wird. Wer wuͤrde wohl sagen, daß ein Wesen, das nie gedacht hat, Verstand haͤtte? Oder um noch ein besseres Beispiel zu geben, wenn einer von den besagten Herrn in einer Gesellschaft waͤre, wo es nun weder etwas zu distinguiren gaͤbe, noch daß von einer neuen Edition irgend eines alten Schriftstellers, noch von roͤmischen und griechischen Antiquitaͤten auf eine seichte Art gesprochen wuͤrde, und er sich folglich bei so bewandten Umstaͤnden entschliessen muͤßte, keinen Laut von sich hoͤren zu lassen, wuͤrde er da nicht fuͤr die Gesellschaft so gut, als nicht da seyn? Und wenn er nun durch irgend einen Talismann seine pedantische Figur noch dazu verunsichtbaren koͤnnte, wuͤrde es da nicht vollends unmoͤglich seyn, seine Gegenwart zu beweisen? Alles sehr handgreiflich, denk' ich, allein da es nun einmal im 18ten Jahrhundert noch Gelehrte giebt, die vor uͤbermaͤßiger Gelehrsamkeit sehr oft das handgreifliche fuͤr unbegreiflich halten, so muß man sich schon darin fuͤgen, daß man sucht, ihren etwanigen nonsensikalischen Einwuͤrfen schon im voraus zu begegnen, um den werthen Herren aus christlicher Liebe Papier und Dinte zu ersparen. Wenn es also nicht gelaͤugnet werden kann, daß man bei den mehresten Menschen auch nicht die geringste Spur von einem Ahndungsvermoͤgen an-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/64>, abgerufen am 27.11.2024.