Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0041" n="39"/><lb/> Acht Abende hinter einander war er zu Hause; vermuthlich Wohlstandes wegen, und nun — ging er wieder in Gesellschaft und ich und seine Gattin waren mehrentheils allein. Jch blieb denn gemeiniglich da, bis er wieder kam, und kam er denn, so war er freundlich und gespraͤchig. Jch wußte nicht, was ich zu diesem Betragen denken sollte; seine Freundlichkeit schien mir zweideutig — wenigstens wars wider meinen Begrif von Ehe, einen Fremden, den ich noch nicht weiter kenne, zu ganzen Stunden bei meiner Gattin zu wissen, mit der ich so gespannt lebe. Entweder (so erklaͤrte ich mirs) Eigennuz war bei ihm staͤrker als Eifersucht, oder er hatte zu viel Eigenliebe, die ihn immer uͤberredete: ein anderer koͤnne sich nicht in den Besiz eines Herzens setzen, worinnen er (vielleicht) unumschraͤnkt herrsche. Aber er kannte das menschliche Herz nicht. Konnte denn das oͤftere Alleinsein gegruͤndet auf ein reges Mitleid, eine andere Folge haben, als Liebe? Eine junge Frau, die von Natur munter war und das gesellschaftliche Leben liebte, mußte ich der nicht nach und nach unentbehrlich werden, da ich ihr durch Vorlesen und Discuriren, durch Trost und guten Rath die Langeweile vertrieb, und sie ihr Elend auf eine Zeitlang vergessen machte? Jch war ungluͤcklich; sie auch. Sie hatte keine Freundin, gegen die sie ihren Kummer haͤtte ausschuͤtten koͤnnen; ich keinen Freund, von allen Lebendigen verlassen: wars Wun-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0041]
Acht Abende hinter einander war er zu Hause; vermuthlich Wohlstandes wegen, und nun — ging er wieder in Gesellschaft und ich und seine Gattin waren mehrentheils allein. Jch blieb denn gemeiniglich da, bis er wieder kam, und kam er denn, so war er freundlich und gespraͤchig. Jch wußte nicht, was ich zu diesem Betragen denken sollte; seine Freundlichkeit schien mir zweideutig — wenigstens wars wider meinen Begrif von Ehe, einen Fremden, den ich noch nicht weiter kenne, zu ganzen Stunden bei meiner Gattin zu wissen, mit der ich so gespannt lebe. Entweder (so erklaͤrte ich mirs) Eigennuz war bei ihm staͤrker als Eifersucht, oder er hatte zu viel Eigenliebe, die ihn immer uͤberredete: ein anderer koͤnne sich nicht in den Besiz eines Herzens setzen, worinnen er (vielleicht) unumschraͤnkt herrsche. Aber er kannte das menschliche Herz nicht. Konnte denn das oͤftere Alleinsein gegruͤndet auf ein reges Mitleid, eine andere Folge haben, als Liebe? Eine junge Frau, die von Natur munter war und das gesellschaftliche Leben liebte, mußte ich der nicht nach und nach unentbehrlich werden, da ich ihr durch Vorlesen und Discuriren, durch Trost und guten Rath die Langeweile vertrieb, und sie ihr Elend auf eine Zeitlang vergessen machte? Jch war ungluͤcklich; sie auch. Sie hatte keine Freundin, gegen die sie ihren Kummer haͤtte ausschuͤtten koͤnnen; ich keinen Freund, von allen Lebendigen verlassen: wars Wun-
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