Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden länger und -- Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben möchte, ihn des Abends besuchen zu dürfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem häuslichen Verhältniß -- näher beobachten, um wo möglich bei ihren Zwisten ein Wort des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich wurde auch überzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig Widerspruch vertragen zu können, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da gewesen, als sich sein hitziger ungestümer Charakter schon äusserte. Sie schwieg mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwünschte.
Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden laͤnger und — Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben moͤchte, ihn des Abends besuchen zu duͤrfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem haͤuslichen Verhaͤltniß — naͤher beobachten, um wo moͤglich bei ihren Zwisten ein Wort des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich wurde auch uͤberzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig Widerspruch vertragen zu koͤnnen, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da gewesen, als sich sein hitziger ungestuͤmer Charakter schon aͤusserte. Sie schwieg mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwuͤnschte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb n="38" facs="#f0040"/><lb/> fahr zu setzen. Doch die Gelegenheit dazu bot sich bald dar. Da ich sie einst wieder beide an dem Orte traf, wo ich sie hatte kennen lernen, so suchte ich ihm Rede anzugewinnen. Jch hatte gehoͤrt, daß er gern Buͤcher von gewoͤhnlicher Art las; ich lenkte daher das Gespraͤch dahin. Er wurde bald gespraͤchig. Jch versprach ihm einige Buͤcher nach seinem Geschmack zu verschaffen, und — er bat mich zu sich. </p> <p>Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden laͤnger und — Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben moͤchte, ihn des Abends besuchen zu duͤrfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem haͤuslichen Verhaͤltniß — naͤher beobachten, um wo moͤglich bei ihren Zwisten ein Wort des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich wurde auch uͤberzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig Widerspruch vertragen zu koͤnnen, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da gewesen, als sich sein hitziger ungestuͤmer Charakter schon aͤusserte. Sie schwieg mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwuͤnschte.</p> <p><lb/> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0040]
fahr zu setzen. Doch die Gelegenheit dazu bot sich bald dar. Da ich sie einst wieder beide an dem Orte traf, wo ich sie hatte kennen lernen, so suchte ich ihm Rede anzugewinnen. Jch hatte gehoͤrt, daß er gern Buͤcher von gewoͤhnlicher Art las; ich lenkte daher das Gespraͤch dahin. Er wurde bald gespraͤchig. Jch versprach ihm einige Buͤcher nach seinem Geschmack zu verschaffen, und — er bat mich zu sich.
Auf eine so leichte Art hatte ich nun meinen Zweck erreicht. Kurz darauf wurde die Witterung schlechter, das Spazierengehen wurde eingestellt; die Abende wurden laͤnger und — Langeweile blieb nicht aus. Jch bat ihn daher, daß er mir erlauben moͤchte, ihn des Abends besuchen zu duͤrfen, und er war es sehr gern zufrieden. Jch hatte neben meiner Liebe noch einen Endzweck: ich wollte sie beide in ihrem haͤuslichen Verhaͤltniß — naͤher beobachten, um wo moͤglich bei ihren Zwisten ein Wort des Friedens zu reden. Die Gelegenheit dazu blieb auch nicht lange aus, aber ich wurde auch uͤberzeugt, daß ich mich in meinem vorigen Urtheil: daß er schien, wenig Widerspruch vertragen zu koͤnnen, nicht geirrt hatte. Jch war kaum dreimal da gewesen, als sich sein hitziger ungestuͤmer Charakter schon aͤusserte. Sie schwieg mehrentheils stille, und wenn sie dann einmal sich regte, so gerieth er in eine solche Wuth, daß ich mich immer weit wegwuͤnschte.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/40>, abgerufen am 02.03.2025. |