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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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von Gott zu erringen glaubst, dem Ganzen nicht hindert. -- Bis denn endlich der Lauf der Dinge es zuläßt, daß durch Aufopferung vieler Tausende, dein Gebet erhöret werden kann. Unglücklicher Vorzug! auf die Glückstrümmer meiner Brüder, mein eignes zu gründen! -- Mein Herz kann sich unmöglich mit diesem Gedanken vertragen. Womit hatte es denn die Unglückliche verschuldet, daß ihr dieses schwere Kreuz aufgelegt wurde? Ein Kreuz, daß nicht erträglich gemacht werden konnte, als durch Verbrechen. -- So durchkreuzen sich die Schicksaale der Menschen: die Sünden des Einen, ziehn Sünden des Andern nach sich. Auf wem liegt nun die Schuld, und wer soll sie tragen? Wo soll die Kraft herkommen, wenn sie Gott nicht giebt? "Standhaft dulden und -- schweigen; keinen Fuß breit von seiner Pflicht abweichen, Gott um Unterwerfung, um Aendrung seines Schicksaals anflehen und gelassen dieselbe erwarten -- Das lehrt die Religion bei schwerem Kreuz."

Gut! aber wollen Sie noch einige meiner Zweifel anhören, die selbst die Erfahrung und der Begriff von Gott und seinen Eigenschaften zu bestätigen scheinen?

Dulden. Thut Gott jetzt noch Wunder? und wär es nicht Wunder, wenn das rasche, feurige Temperament auf einmal bis zu einer gewissen Trägheit, ohne vorhergegangne andere Umstände,


von Gott zu erringen glaubst, dem Ganzen nicht hindert. — Bis denn endlich der Lauf der Dinge es zulaͤßt, daß durch Aufopferung vieler Tausende, dein Gebet erhoͤret werden kann. Ungluͤcklicher Vorzug! auf die Gluͤckstruͤmmer meiner Bruͤder, mein eignes zu gruͤnden! — Mein Herz kann sich unmoͤglich mit diesem Gedanken vertragen. Womit hatte es denn die Ungluͤckliche verschuldet, daß ihr dieses schwere Kreuz aufgelegt wurde? Ein Kreuz, daß nicht ertraͤglich gemacht werden konnte, als durch Verbrechen. — So durchkreuzen sich die Schicksaale der Menschen: die Suͤnden des Einen, ziehn Suͤnden des Andern nach sich. Auf wem liegt nun die Schuld, und wer soll sie tragen? Wo soll die Kraft herkommen, wenn sie Gott nicht giebt? »Standhaft dulden und — schweigen; keinen Fuß breit von seiner Pflicht abweichen, Gott um Unterwerfung, um Aendrung seines Schicksaals anflehen und gelassen dieselbe erwarten — Das lehrt die Religion bei schwerem Kreuz.«

Gut! aber wollen Sie noch einige meiner Zweifel anhoͤren, die selbst die Erfahrung und der Begriff von Gott und seinen Eigenschaften zu bestaͤtigen scheinen?

Dulden. Thut Gott jetzt noch Wunder? und waͤr es nicht Wunder, wenn das rasche, feurige Temperament auf einmal bis zu einer gewissen Traͤgheit, ohne vorhergegangne andere Umstaͤnde,

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[33/0035] von Gott zu erringen glaubst, dem Ganzen nicht hindert. — Bis denn endlich der Lauf der Dinge es zulaͤßt, daß durch Aufopferung vieler Tausende, dein Gebet erhoͤret werden kann. Ungluͤcklicher Vorzug! auf die Gluͤckstruͤmmer meiner Bruͤder, mein eignes zu gruͤnden! — Mein Herz kann sich unmoͤglich mit diesem Gedanken vertragen. Womit hatte es denn die Ungluͤckliche verschuldet, daß ihr dieses schwere Kreuz aufgelegt wurde? Ein Kreuz, daß nicht ertraͤglich gemacht werden konnte, als durch Verbrechen. — So durchkreuzen sich die Schicksaale der Menschen: die Suͤnden des Einen, ziehn Suͤnden des Andern nach sich. Auf wem liegt nun die Schuld, und wer soll sie tragen? Wo soll die Kraft herkommen, wenn sie Gott nicht giebt? »Standhaft dulden und — schweigen; keinen Fuß breit von seiner Pflicht abweichen, Gott um Unterwerfung, um Aendrung seines Schicksaals anflehen und gelassen dieselbe erwarten — Das lehrt die Religion bei schwerem Kreuz.« Gut! aber wollen Sie noch einige meiner Zweifel anhoͤren, die selbst die Erfahrung und der Begriff von Gott und seinen Eigenschaften zu bestaͤtigen scheinen? Dulden. Thut Gott jetzt noch Wunder? und waͤr es nicht Wunder, wenn das rasche, feurige Temperament auf einmal bis zu einer gewissen Traͤgheit, ohne vorhergegangne andere Umstaͤnde,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/35>, abgerufen am 21.11.2024.