Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
O wie oft ist mir aus Meißners Gedicht: Noch hab' ich nie gefunden, die meine Seele sucht, die Stelle daraus eingefallen, die so ganz für mich paßte: Sah' manches holde Weibchen verknüpft mit Alberts Hand; beseufzte sie und bebte für meine Ruh und schwand. Schwand hin, wie Frühlings Wölkchen am Himmel leis' entfliehn; denn in des Mitleids Nähe sah' ich die Liebe glühn -- Wie wahr die letzten Strophen, und wie treffend für mich. Ja, fliehn hätte ich sollen, aber ich blieb -- und mein weiches Herz riß mich hin und jetzt seh' ichs erst ein, wie wahr Gellert geschrieben: Oft kleiden sich des Lasters Triebe, in die Gestalt erlaubter Liebe und du erblickst nicht die Gefahr? Ein langer Umgang macht uns freier, und oft wird ein verborgnes Feuer, aus dem, was anfangs Freundschaft war.
O wie oft ist mir aus Meißners Gedicht: Noch hab' ich nie gefunden, die meine Seele sucht, die Stelle daraus eingefallen, die so ganz fuͤr mich paßte: Sah' manches holde Weibchen verknuͤpft mit Alberts Hand; beseufzte sie und bebte fuͤr meine Ruh und schwand. Schwand hin, wie Fruͤhlings Woͤlkchen am Himmel leis' entfliehn; denn in des Mitleids Naͤhe sah' ich die Liebe gluͤhn — Wie wahr die letzten Strophen, und wie treffend fuͤr mich. Ja, fliehn haͤtte ich sollen, aber ich blieb — und mein weiches Herz riß mich hin und jetzt seh' ichs erst ein, wie wahr Gellert geschrieben: Oft kleiden sich des Lasters Triebe, in die Gestalt erlaubter Liebe und du erblickst nicht die Gefahr? Ein langer Umgang macht uns freier, und oft wird ein verborgnes Feuer, aus dem, was anfangs Freundschaft war. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0026" n="24"/><lb/> gluͤhte. — Auch sahe ich jetzt nicht mehr das leidende — sondern das willige, ausschweifende Weib. Aber diese Denkungsart verschwand bald, nachdem ich naͤher von ihrer schlimmen Lage unterrichtet war, und mein Mitleid wuchs bis zu einer erstaunenden Hoͤhe.</p> <p>O wie oft ist mir aus Meißners Gedicht: Noch hab' ich nie gefunden, die meine Seele sucht, die Stelle daraus eingefallen, die so ganz fuͤr mich paßte:</p> <lg type="poem"> <l>Sah' manches holde Weibchen</l> <l>verknuͤpft mit Alberts Hand;</l> <l>beseufzte sie und bebte</l> <l>fuͤr meine Ruh und schwand.</l> <l>Schwand hin, wie Fruͤhlings Woͤlkchen</l> <l>am Himmel leis' entfliehn;</l> <l>denn in des <hi rendition="#b">Mitleids Naͤhe</hi></l> <l>sah' ich die Liebe gluͤhn —</l> </lg> <p>Wie wahr die letzten Strophen, und wie treffend fuͤr mich. Ja, fliehn haͤtte ich sollen, aber ich blieb — und mein weiches Herz riß mich hin und jetzt seh' ichs erst ein, wie wahr Gellert geschrieben:</p> <lg type="poem"> <l>Oft kleiden sich des Lasters Triebe,</l> <l>in die Gestalt erlaubter Liebe</l> <l>und du erblickst nicht die Gefahr?</l> <l>Ein langer Umgang macht uns freier,</l> <l>und oft wird ein verborgnes Feuer,</l> <l>aus dem, was anfangs Freundschaft war.</l> </lg> <p><lb/> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0026]
gluͤhte. — Auch sahe ich jetzt nicht mehr das leidende — sondern das willige, ausschweifende Weib. Aber diese Denkungsart verschwand bald, nachdem ich naͤher von ihrer schlimmen Lage unterrichtet war, und mein Mitleid wuchs bis zu einer erstaunenden Hoͤhe.
O wie oft ist mir aus Meißners Gedicht: Noch hab' ich nie gefunden, die meine Seele sucht, die Stelle daraus eingefallen, die so ganz fuͤr mich paßte:
Sah' manches holde Weibchen verknuͤpft mit Alberts Hand; beseufzte sie und bebte fuͤr meine Ruh und schwand. Schwand hin, wie Fruͤhlings Woͤlkchen am Himmel leis' entfliehn; denn in des Mitleids Naͤhe sah' ich die Liebe gluͤhn —
Wie wahr die letzten Strophen, und wie treffend fuͤr mich. Ja, fliehn haͤtte ich sollen, aber ich blieb — und mein weiches Herz riß mich hin und jetzt seh' ichs erst ein, wie wahr Gellert geschrieben:
Oft kleiden sich des Lasters Triebe, in die Gestalt erlaubter Liebe und du erblickst nicht die Gefahr? Ein langer Umgang macht uns freier, und oft wird ein verborgnes Feuer, aus dem, was anfangs Freundschaft war.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/26>, abgerufen am 16.07.2024. |