Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
Auf den Tag harrte ich sehnlich, wenn ich sie selbst sehen würde; denn da hofte ich auf Antwort. Der Tag erschien, und mein Herz klopfte wie ein Hammer, als ich sie sahe ankommen. Sie wurde roth, als sie mich ansahe, und da wir nicht bemerkt wurden, so lispelte sie mir zu: kommen Sie künftigen Sonntag früh um acht Uhr zu mir. Ueber diese Einladung erschrack ich herzlich; denn die hatt' ich mir gar nicht vermuthet. Doch faßte ich mich; nur hütete ich mich, ihr in die Augen zu sehen, denn ich fühlte, daß mein Gesicht
Auf den Tag harrte ich sehnlich, wenn ich sie selbst sehen wuͤrde; denn da hofte ich auf Antwort. Der Tag erschien, und mein Herz klopfte wie ein Hammer, als ich sie sahe ankommen. Sie wurde roth, als sie mich ansahe, und da wir nicht bemerkt wurden, so lispelte sie mir zu: kommen Sie kuͤnftigen Sonntag fruͤh um acht Uhr zu mir. Ueber diese Einladung erschrack ich herzlich; denn die hatt' ich mir gar nicht vermuthet. Doch faßte ich mich; nur huͤtete ich mich, ihr in die Augen zu sehen, denn ich fuͤhlte, daß mein Gesicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0025" n="23"/><lb/> sie so begierig darnach griff, und mit welcher Freude sie ihn an einem unbemerkten Orte las. Tausendmal frug sie mich: ob Sie nicht selbst herauskaͤmen. Sehen Sie, daß ich recht habe.« Jch hatte genug zu thun, um ihm Einhalt zu thun, denn mir wollte es immer noch nicht recht im Kopf, daß eine Frau sich so leicht einem anderen uͤberlassen sollte, von dem sie glauben koͤnnte, daß er sie auf bloß physische Art schadlos halten wuͤrde. — Freilich ich gestehe es gern, war ich zu einer andern Zeit — wieder geneigter es zu glauben; es entstanden in mir gewisse Empfindungen, die michs wahrscheinlich vermuthen liessen: denn man schließt immer von sich gern auf Andre; — allein ich rechnete auch wirklich viel auf weibliche Schaam, und die Folge bewieß, daß dieser Schutzengel weiblicher Tugend auch durch die nachlaͤßigste Erziehung nicht, und nur durch boͤses Beispiel verdraͤngt wird.</p> <p>Auf den Tag harrte ich sehnlich, wenn ich sie selbst sehen wuͤrde; denn da hofte ich auf Antwort. Der Tag erschien, und mein Herz klopfte wie ein Hammer, als ich sie sahe ankommen. Sie wurde roth, als sie mich ansahe, und da wir nicht bemerkt wurden, so lispelte sie mir zu: kommen Sie kuͤnftigen Sonntag fruͤh um acht Uhr zu mir. Ueber diese Einladung erschrack ich herzlich; denn die hatt' ich mir gar nicht vermuthet. Doch faßte ich mich; nur huͤtete ich mich, ihr in die Augen zu sehen, denn ich fuͤhlte, daß mein Gesicht<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0025]
sie so begierig darnach griff, und mit welcher Freude sie ihn an einem unbemerkten Orte las. Tausendmal frug sie mich: ob Sie nicht selbst herauskaͤmen. Sehen Sie, daß ich recht habe.« Jch hatte genug zu thun, um ihm Einhalt zu thun, denn mir wollte es immer noch nicht recht im Kopf, daß eine Frau sich so leicht einem anderen uͤberlassen sollte, von dem sie glauben koͤnnte, daß er sie auf bloß physische Art schadlos halten wuͤrde. — Freilich ich gestehe es gern, war ich zu einer andern Zeit — wieder geneigter es zu glauben; es entstanden in mir gewisse Empfindungen, die michs wahrscheinlich vermuthen liessen: denn man schließt immer von sich gern auf Andre; — allein ich rechnete auch wirklich viel auf weibliche Schaam, und die Folge bewieß, daß dieser Schutzengel weiblicher Tugend auch durch die nachlaͤßigste Erziehung nicht, und nur durch boͤses Beispiel verdraͤngt wird.
Auf den Tag harrte ich sehnlich, wenn ich sie selbst sehen wuͤrde; denn da hofte ich auf Antwort. Der Tag erschien, und mein Herz klopfte wie ein Hammer, als ich sie sahe ankommen. Sie wurde roth, als sie mich ansahe, und da wir nicht bemerkt wurden, so lispelte sie mir zu: kommen Sie kuͤnftigen Sonntag fruͤh um acht Uhr zu mir. Ueber diese Einladung erschrack ich herzlich; denn die hatt' ich mir gar nicht vermuthet. Doch faßte ich mich; nur huͤtete ich mich, ihr in die Augen zu sehen, denn ich fuͤhlte, daß mein Gesicht
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/25>, abgerufen am 16.02.2025. |