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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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heftiger Husten ganz ausser aller Lebenskraft setzte. Mit langen Fingern, daran die Nägel blau und weit über das Fleisch überstunden, und Füssen, die die stillen Zeugen einer übel vollbrachten Jugend waren. -- Kurz ein Mann, dessen Aeusseres seinem Alter die ärgste Satire war. Seine Frau, ein junges feuriges Weib von einigen 20 Jahren, von starken robusten Körper, der von Gesundheit glühte. Mit einer recht ehrlichen Miene und einem ganz hübschen blauen Auge, das aber etwas schwermüthiges und unzufriednes verrieth. Uebrigens einen guten Wuchs und einen ausserordentlich schönen Fuß. Wie abstechend gegen ihren Gatten! Und wie ganz dazu geschaffen, meine ganze Aufmerksamkeit und mein Mitleid rege zu machen. Jch ließ mich mit beiden in Gespräch ein, und da die Gesellschaft zahlreich war, so wußte ich bald das Gespräch auf die Ehen zu lenken. Jch thats aus der Absicht, um zu sehen, wie sie sich dabei nehmen würde, weil ich gleich beim ersten Anblick -- das Urtheil gefällt hatte, daß ihre Ehe eben nicht die glücklichste seyn könnte. Jch sahe sie seufzen und ihren Gatten eine mürrische Miene annehmen -- dieß war Wink genug für mich und ich brach ab. Unterdessen zerstreute sich die Gesellschaft, und ihr Gatte entfernte sich zu einer Spielparthie. Jetzt waren wir allein. Meine Neugierde, vielleicht auch eine dunkele Empfindung -- und mein Mitleid, das schon rege gemacht war,


heftiger Husten ganz ausser aller Lebenskraft setzte. Mit langen Fingern, daran die Naͤgel blau und weit uͤber das Fleisch uͤberstunden, und Fuͤssen, die die stillen Zeugen einer uͤbel vollbrachten Jugend waren. — Kurz ein Mann, dessen Aeusseres seinem Alter die aͤrgste Satire war. Seine Frau, ein junges feuriges Weib von einigen 20 Jahren, von starken robusten Koͤrper, der von Gesundheit gluͤhte. Mit einer recht ehrlichen Miene und einem ganz huͤbschen blauen Auge, das aber etwas schwermuͤthiges und unzufriednes verrieth. Uebrigens einen guten Wuchs und einen ausserordentlich schoͤnen Fuß. Wie abstechend gegen ihren Gatten! Und wie ganz dazu geschaffen, meine ganze Aufmerksamkeit und mein Mitleid rege zu machen. Jch ließ mich mit beiden in Gespraͤch ein, und da die Gesellschaft zahlreich war, so wußte ich bald das Gespraͤch auf die Ehen zu lenken. Jch thats aus der Absicht, um zu sehen, wie sie sich dabei nehmen wuͤrde, weil ich gleich beim ersten Anblick — das Urtheil gefaͤllt hatte, daß ihre Ehe eben nicht die gluͤcklichste seyn koͤnnte. Jch sahe sie seufzen und ihren Gatten eine muͤrrische Miene annehmen — dieß war Wink genug fuͤr mich und ich brach ab. Unterdessen zerstreute sich die Gesellschaft, und ihr Gatte entfernte sich zu einer Spielparthie. Jetzt waren wir allein. Meine Neugierde, vielleicht auch eine dunkele Empfindung — und mein Mitleid, das schon rege gemacht war,

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[20/0022] heftiger Husten ganz ausser aller Lebenskraft setzte. Mit langen Fingern, daran die Naͤgel blau und weit uͤber das Fleisch uͤberstunden, und Fuͤssen, die die stillen Zeugen einer uͤbel vollbrachten Jugend waren. — Kurz ein Mann, dessen Aeusseres seinem Alter die aͤrgste Satire war. Seine Frau, ein junges feuriges Weib von einigen 20 Jahren, von starken robusten Koͤrper, der von Gesundheit gluͤhte. Mit einer recht ehrlichen Miene und einem ganz huͤbschen blauen Auge, das aber etwas schwermuͤthiges und unzufriednes verrieth. Uebrigens einen guten Wuchs und einen ausserordentlich schoͤnen Fuß. Wie abstechend gegen ihren Gatten! Und wie ganz dazu geschaffen, meine ganze Aufmerksamkeit und mein Mitleid rege zu machen. Jch ließ mich mit beiden in Gespraͤch ein, und da die Gesellschaft zahlreich war, so wußte ich bald das Gespraͤch auf die Ehen zu lenken. Jch thats aus der Absicht, um zu sehen, wie sie sich dabei nehmen wuͤrde, weil ich gleich beim ersten Anblick — das Urtheil gefaͤllt hatte, daß ihre Ehe eben nicht die gluͤcklichste seyn koͤnnte. Jch sahe sie seufzen und ihren Gatten eine muͤrrische Miene annehmen — dieß war Wink genug fuͤr mich und ich brach ab. Unterdessen zerstreute sich die Gesellschaft, und ihr Gatte entfernte sich zu einer Spielparthie. Jetzt waren wir allein. Meine Neugierde, vielleicht auch eine dunkele Empfindung — und mein Mitleid, das schon rege gemacht war,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/22>, abgerufen am 23.11.2024.