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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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Jch beobachtete genau die Reden und Handlungen andrer, und verglich sie oft zusammen. Da bekam ich denn manchen Aufschluß übers menschliche Herz, das ich mir dann aufzeichnete, und dann nicht selten bei ähnlichen Eräugnissen wieder richtig anwenden konnte! Allein eben diese große Forschbegierde verursachte bei mir oft den Fehler der Zudringlichkeit; gute Menschen besonders ziehen mich unaufhaltsam an sich. Haben sie noch überdem den Vortheil, daß sie Leidende sind, so bin ich nicht abzuhalten: ich suche mich ihnen verbindlich zu machen. Hätte ich denn nur Kräfte genug, um ihnen zu dienen; ihrer Leiden weniger zu machen, aber leider! ich bin selbst unglücklich, und da ich denn doch etwas für sie thun will, so nimmt dieser Trieb eine falsche Richtung, und ich opfere dann in meiner Begeisterung grosse Pflichten kleinern auf.

Man wird diese Anmerkung, (die man mir erlauben wird, weil doch nur jeder selbst im Stande ist, die alleinigen Bewegungsgründe seiner Handlungen anzugeben) in der Folge bestätiget finden.

Unter andern Gästen, die da hinkamen, um sich zu vergnügen, zog besonders ein junges aber ganz ungleiches Paar meine ganze Aufmerksamkeit an sich. Stellen Sie sich einen Mann vor, von ungefähr 28 bis 30 Jahren, mit einer bleichen Gesichtsfarbe, eingefallenen Augen und Schläfen mit einem engbrüstigen Odem, den ein nicht seltener


Jch beobachtete genau die Reden und Handlungen andrer, und verglich sie oft zusammen. Da bekam ich denn manchen Aufschluß uͤbers menschliche Herz, das ich mir dann aufzeichnete, und dann nicht selten bei aͤhnlichen Eraͤugnissen wieder richtig anwenden konnte! Allein eben diese große Forschbegierde verursachte bei mir oft den Fehler der Zudringlichkeit; gute Menschen besonders ziehen mich unaufhaltsam an sich. Haben sie noch uͤberdem den Vortheil, daß sie Leidende sind, so bin ich nicht abzuhalten: ich suche mich ihnen verbindlich zu machen. Haͤtte ich denn nur Kraͤfte genug, um ihnen zu dienen; ihrer Leiden weniger zu machen, aber leider! ich bin selbst ungluͤcklich, und da ich denn doch etwas fuͤr sie thun will, so nimmt dieser Trieb eine falsche Richtung, und ich opfere dann in meiner Begeisterung grosse Pflichten kleinern auf.

Man wird diese Anmerkung, (die man mir erlauben wird, weil doch nur jeder selbst im Stande ist, die alleinigen Bewegungsgruͤnde seiner Handlungen anzugeben) in der Folge bestaͤtiget finden.

Unter andern Gaͤsten, die da hinkamen, um sich zu vergnuͤgen, zog besonders ein junges aber ganz ungleiches Paar meine ganze Aufmerksamkeit an sich. Stellen Sie sich einen Mann vor, von ungefaͤhr 28 bis 30 Jahren, mit einer bleichen Gesichtsfarbe, eingefallenen Augen und Schlaͤfen mit einem engbruͤstigen Odem, den ein nicht seltener

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[19/0021] Jch beobachtete genau die Reden und Handlungen andrer, und verglich sie oft zusammen. Da bekam ich denn manchen Aufschluß uͤbers menschliche Herz, das ich mir dann aufzeichnete, und dann nicht selten bei aͤhnlichen Eraͤugnissen wieder richtig anwenden konnte! Allein eben diese große Forschbegierde verursachte bei mir oft den Fehler der Zudringlichkeit; gute Menschen besonders ziehen mich unaufhaltsam an sich. Haben sie noch uͤberdem den Vortheil, daß sie Leidende sind, so bin ich nicht abzuhalten: ich suche mich ihnen verbindlich zu machen. Haͤtte ich denn nur Kraͤfte genug, um ihnen zu dienen; ihrer Leiden weniger zu machen, aber leider! ich bin selbst ungluͤcklich, und da ich denn doch etwas fuͤr sie thun will, so nimmt dieser Trieb eine falsche Richtung, und ich opfere dann in meiner Begeisterung grosse Pflichten kleinern auf. Man wird diese Anmerkung, (die man mir erlauben wird, weil doch nur jeder selbst im Stande ist, die alleinigen Bewegungsgruͤnde seiner Handlungen anzugeben) in der Folge bestaͤtiget finden. Unter andern Gaͤsten, die da hinkamen, um sich zu vergnuͤgen, zog besonders ein junges aber ganz ungleiches Paar meine ganze Aufmerksamkeit an sich. Stellen Sie sich einen Mann vor, von ungefaͤhr 28 bis 30 Jahren, mit einer bleichen Gesichtsfarbe, eingefallenen Augen und Schlaͤfen mit einem engbruͤstigen Odem, den ein nicht seltener

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/21>, abgerufen am 18.12.2024.