Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.
Wir haben seit zwanzig Jahren unglaublich viel Hypochondristen, vorzüglich unter den jungen Gottesgelehrten erhalten. Sollte nicht die, seitdem einreissende, aut si mavis, aufkeimende Heterodoxie vorzüglich daran schuld seyn? Der Lehrer schwur sonst ernstlich auf seine symbolischen Bücher. Man durfte durchaus nicht anders sprechen, ohne zu verhungern. Wer thut das gern, wer einen Magen hat? Hierüber vergaß man um so leichter das Denken, und hielt also mit Bequemlichkeit seinen Schwur. -- Der Student schwur auf seinen Lehrer, und wann er, mit der Ladung von einer hinlänglichen Partie Weisheit und sauber geschriebenen Kollegienheften, nach Hause kam, so wuste er, was er predigen, wie er dem Patron, dem Konsistorium gefallen sollte. Aber das ist denn jetzt so ganz anders, -- und ist wahrlich zu unzähliger Hypochondrie Anlas; wenn mans nicht so machen will, als jener Kandidat, der nun freilich auch mehrere seines gleichen unter großen und kleinen haben mag. Er wurde von einem Superior gefragt, halten Sie Christum für den Sohn Gottes, oder nicht? Mit der gefälligsten Verbindung und Dienstfertigkeit erwiederte er: wie Ew. ------ befehlen. --
Wir haben seit zwanzig Jahren unglaublich viel Hypochondristen, vorzuͤglich unter den jungen Gottesgelehrten erhalten. Sollte nicht die, seitdem einreissende, aut si mavis, aufkeimende Heterodoxie vorzuͤglich daran schuld seyn? Der Lehrer schwur sonst ernstlich auf seine symbolischen Buͤcher. Man durfte durchaus nicht anders sprechen, ohne zu verhungern. Wer thut das gern, wer einen Magen hat? Hieruͤber vergaß man um so leichter das Denken, und hielt also mit Bequemlichkeit seinen Schwur. — Der Student schwur auf seinen Lehrer, und wann er, mit der Ladung von einer hinlaͤnglichen Partie Weisheit und sauber geschriebenen Kollegienheften, nach Hause kam, so wuste er, was er predigen, wie er dem Patron, dem Konsistorium gefallen sollte. Aber das ist denn jetzt so ganz anders, — und ist wahrlich zu unzaͤhliger Hypochondrie Anlas; wenn mans nicht so machen will, als jener Kandidat, der nun freilich auch mehrere seines gleichen unter großen und kleinen haben mag. Er wurde von einem Superior gefragt, halten Sie Christum fuͤr den Sohn Gottes, oder nicht? Mit der gefaͤlligsten Verbindung und Dienstfertigkeit erwiederte er: wie Ew. ——— befehlen. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0129" n="127"/><lb/> pfe. Man will auf der einen Seite an keiner einzigen Seele Verwirrung gern schuld seyn, auf der andern aber auch nicht ein Schaͤrflein seines erhaltnen Pfundes vergraben, und auf der dritten stellet man sich durch die alles vergroͤssernde Einbildungskraft und Furchtsamkeit, die allenfalls aus Abweichungen entspringen — die aͤusserlichen Uebel viel groͤsser vor, als sie sind. Dies muß diese Schwachheiten des Koͤrpers erregen und unterhalten. </p> <p>Wir haben seit zwanzig Jahren unglaublich viel Hypochondristen, vorzuͤglich unter den jungen Gottesgelehrten erhalten. Sollte nicht die, seitdem einreissende, <hi rendition="#aq">aut si mavis,</hi> aufkeimende Heterodoxie vorzuͤglich daran schuld seyn? Der Lehrer schwur sonst ernstlich auf seine symbolischen Buͤcher. Man durfte durchaus nicht anders sprechen, ohne zu verhungern. Wer thut das gern, wer einen Magen hat? </p> <p>Hieruͤber vergaß man um so leichter das Denken, und hielt also mit Bequemlichkeit seinen Schwur. — Der Student schwur auf seinen Lehrer, und wann er, mit der Ladung von einer hinlaͤnglichen Partie Weisheit und sauber geschriebenen Kollegienheften, nach Hause kam, so wuste er, was er predigen, wie er dem Patron, dem Konsistorium gefallen sollte. Aber das ist denn jetzt so ganz anders, — und ist wahrlich zu unzaͤhliger Hypochondrie Anlas; wenn mans nicht so machen will, als jener Kandidat, der nun freilich auch mehrere seines gleichen unter großen und kleinen haben mag. </p> <p>Er wurde von einem Superior gefragt, halten Sie Christum fuͤr den Sohn Gottes, oder nicht? Mit der gefaͤlligsten Verbindung und Dienstfertigkeit erwiederte er: wie Ew. ——— befehlen. — </p><lb/> </div> </div> </div> </body><lb/> </text> </TEI> [127/0129]
pfe. Man will auf der einen Seite an keiner einzigen Seele Verwirrung gern schuld seyn, auf der andern aber auch nicht ein Schaͤrflein seines erhaltnen Pfundes vergraben, und auf der dritten stellet man sich durch die alles vergroͤssernde Einbildungskraft und Furchtsamkeit, die allenfalls aus Abweichungen entspringen — die aͤusserlichen Uebel viel groͤsser vor, als sie sind. Dies muß diese Schwachheiten des Koͤrpers erregen und unterhalten.
Wir haben seit zwanzig Jahren unglaublich viel Hypochondristen, vorzuͤglich unter den jungen Gottesgelehrten erhalten. Sollte nicht die, seitdem einreissende, aut si mavis, aufkeimende Heterodoxie vorzuͤglich daran schuld seyn? Der Lehrer schwur sonst ernstlich auf seine symbolischen Buͤcher. Man durfte durchaus nicht anders sprechen, ohne zu verhungern. Wer thut das gern, wer einen Magen hat?
Hieruͤber vergaß man um so leichter das Denken, und hielt also mit Bequemlichkeit seinen Schwur. — Der Student schwur auf seinen Lehrer, und wann er, mit der Ladung von einer hinlaͤnglichen Partie Weisheit und sauber geschriebenen Kollegienheften, nach Hause kam, so wuste er, was er predigen, wie er dem Patron, dem Konsistorium gefallen sollte. Aber das ist denn jetzt so ganz anders, — und ist wahrlich zu unzaͤhliger Hypochondrie Anlas; wenn mans nicht so machen will, als jener Kandidat, der nun freilich auch mehrere seines gleichen unter großen und kleinen haben mag.
Er wurde von einem Superior gefragt, halten Sie Christum fuͤr den Sohn Gottes, oder nicht? Mit der gefaͤlligsten Verbindung und Dienstfertigkeit erwiederte er: wie Ew. ——— befehlen. —
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |