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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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bringen, hatte er doch auch noch nicht den Muth für sich selbst eine andre anzutreten, die für ihn unendlich viel mehrere Reize hatte.

Verschiedene seiner Freunde, die mit ihm im gleichen Alter waren, und gleiche Aussichten hatten, machten in kurzem ihr Glück. Dieß schmerzte ihn, ohne daß er sich ein ähnliches Glück gewünscht haben würde. Und doch machte er auch keine Anstalt dazu, auf seine eigne Weise glücklich zu seyn.

Weil er nun kein Ziel hatte, worauf die einzelnen kleinen Handlungen seines Lebens, im Ganzen genommen, abzwecken konnten, so ging es ihm, wie einem Wanderer, der einen Scheideweg vor sich sieht, wo er nicht weiß, welchen er wählen soll, und ehe er, weil er schon müde ist, einen Schritt vergeblich thun will, lieber ganz still steht, bis er erst mit Gewißheit erfahren kann, wohin er seinen Fuß lenken soll. -- Er wurde gänzlich unthätig, mißmüthig, traurig, schloß sich Tage lang auf seiner Stube ein, scheute sich, Menschen zu sehen, mochte keine Hand bewegen -- die entschließende Kraft seiner Seele war gelähmt.

Jnnigst betrübt über diesen Zustand drang sein Vater einmal auf das heftigste in ihn, und brachte das lange verhaltne Geständniß von ihm heraus, er habe eine unüberwindliche Neigung aufs Theater zu gehen, und diese mache ihn unglücklich.----



bringen, hatte er doch auch noch nicht den Muth fuͤr sich selbst eine andre anzutreten, die fuͤr ihn unendlich viel mehrere Reize hatte.

Verschiedene seiner Freunde, die mit ihm im gleichen Alter waren, und gleiche Aussichten hatten, machten in kurzem ihr Gluͤck. Dieß schmerzte ihn, ohne daß er sich ein aͤhnliches Gluͤck gewuͤnscht haben wuͤrde. Und doch machte er auch keine Anstalt dazu, auf seine eigne Weise gluͤcklich zu seyn.

Weil er nun kein Ziel hatte, worauf die einzelnen kleinen Handlungen seines Lebens, im Ganzen genommen, abzwecken konnten, so ging es ihm, wie einem Wanderer, der einen Scheideweg vor sich sieht, wo er nicht weiß, welchen er waͤhlen soll, und ehe er, weil er schon muͤde ist, einen Schritt vergeblich thun will, lieber ganz still steht, bis er erst mit Gewißheit erfahren kann, wohin er seinen Fuß lenken soll. — Er wurde gaͤnzlich unthaͤtig, mißmuͤthig, traurig, schloß sich Tage lang auf seiner Stube ein, scheute sich, Menschen zu sehen, mochte keine Hand bewegen — die entschließende Kraft seiner Seele war gelaͤhmt.

Jnnigst betruͤbt uͤber diesen Zustand drang sein Vater einmal auf das heftigste in ihn, und brachte das lange verhaltne Gestaͤndniß von ihm heraus, er habe eine unuͤberwindliche Neigung aufs Theater zu gehen, und diese mache ihn ungluͤcklich.——


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[120/0122] bringen, hatte er doch auch noch nicht den Muth fuͤr sich selbst eine andre anzutreten, die fuͤr ihn unendlich viel mehrere Reize hatte. Verschiedene seiner Freunde, die mit ihm im gleichen Alter waren, und gleiche Aussichten hatten, machten in kurzem ihr Gluͤck. Dieß schmerzte ihn, ohne daß er sich ein aͤhnliches Gluͤck gewuͤnscht haben wuͤrde. Und doch machte er auch keine Anstalt dazu, auf seine eigne Weise gluͤcklich zu seyn. Weil er nun kein Ziel hatte, worauf die einzelnen kleinen Handlungen seines Lebens, im Ganzen genommen, abzwecken konnten, so ging es ihm, wie einem Wanderer, der einen Scheideweg vor sich sieht, wo er nicht weiß, welchen er waͤhlen soll, und ehe er, weil er schon muͤde ist, einen Schritt vergeblich thun will, lieber ganz still steht, bis er erst mit Gewißheit erfahren kann, wohin er seinen Fuß lenken soll. — Er wurde gaͤnzlich unthaͤtig, mißmuͤthig, traurig, schloß sich Tage lang auf seiner Stube ein, scheute sich, Menschen zu sehen, mochte keine Hand bewegen — die entschließende Kraft seiner Seele war gelaͤhmt. Jnnigst betruͤbt uͤber diesen Zustand drang sein Vater einmal auf das heftigste in ihn, und brachte das lange verhaltne Gestaͤndniß von ihm heraus, er habe eine unuͤberwindliche Neigung aufs Theater zu gehen, und diese mache ihn ungluͤcklich.——

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/122>, abgerufen am 29.11.2024.