Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


konnten, oft vergebens von ihren Eltern gezüchtigt worden wären.

Am ungewöhnlichsten, und sonderbarsten scheint aber die Neigung zum Lachen zu seyn, die manche Menschen, auch wohl ernsthafte Leute, denen man gewiß keine Leichtsinnigkeit Schuld geben kann, alsdann in sich empfinden, wenn ihnen andre ihre gehabten, oder gegenwärtigen Leiden schildern. -- Es ist uns freilich nicht immer leicht, uns sogleich in die Stelle eines Elenden zu versetzen, der uns seine Leiden klagt, und natürlich eine schnelle Theilnehmung von uns verlangt. Wir können grade zu der Zeit, daß uns ein Unglücklicher aufstößt, zu froher Laune seyn, als daß wir uns sogleich für ihn umstimmen könnten; der Leidende kann auch uns nicht besonders angehen; er kann zu viel Schuld an seinem Unglücke haben, seine Art zu klagen, und sich auszudrücken kann unartig, ungesittet seyn; er kann Leidenschaften verrathen, die mit unsern moralischen Begriffen nicht zusammenpassen; oder wir können auch glauben, daß der größte Theil seines Uebels nur eingebildet ist, diese und mehrere Umstände können zusammenkommen, welche unser Mitleid zurückhalten, und uns wohl gar in eine Art Gleichgültigkeit gegen den Leidenden versetzen. -- Aber unsre Natur scheint uns doch dabey, um mich so auszudrücken, einen unanständigen Streich zu spielen, wenn sie uns da ein Lachen abzwingen will, wo andre einen mitleidsvollen Eindruck auf unser


konnten, oft vergebens von ihren Eltern gezuͤchtigt worden waͤren.

Am ungewoͤhnlichsten, und sonderbarsten scheint aber die Neigung zum Lachen zu seyn, die manche Menschen, auch wohl ernsthafte Leute, denen man gewiß keine Leichtsinnigkeit Schuld geben kann, alsdann in sich empfinden, wenn ihnen andre ihre gehabten, oder gegenwaͤrtigen Leiden schildern. — Es ist uns freilich nicht immer leicht, uns sogleich in die Stelle eines Elenden zu versetzen, der uns seine Leiden klagt, und natuͤrlich eine schnelle Theilnehmung von uns verlangt. Wir koͤnnen grade zu der Zeit, daß uns ein Ungluͤcklicher aufstoͤßt, zu froher Laune seyn, als daß wir uns sogleich fuͤr ihn umstimmen koͤnnten; der Leidende kann auch uns nicht besonders angehen; er kann zu viel Schuld an seinem Ungluͤcke haben, seine Art zu klagen, und sich auszudruͤcken kann unartig, ungesittet seyn; er kann Leidenschaften verrathen, die mit unsern moralischen Begriffen nicht zusammenpassen; oder wir koͤnnen auch glauben, daß der groͤßte Theil seines Uebels nur eingebildet ist, diese und mehrere Umstaͤnde koͤnnen zusammenkommen, welche unser Mitleid zuruͤckhalten, und uns wohl gar in eine Art Gleichguͤltigkeit gegen den Leidenden versetzen. — Aber unsre Natur scheint uns doch dabey, um mich so auszudruͤcken, einen unanstaͤndigen Streich zu spielen, wenn sie uns da ein Lachen abzwingen will, wo andre einen mitleidsvollen Eindruck auf unser

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="98"/><lb/>
konnten, oft vergebens von ihren Eltern gezu&#x0364;chtigt worden                   wa&#x0364;ren. </p>
            <p>Am ungewo&#x0364;hnlichsten, und sonderbarsten scheint aber <hi rendition="#b">die                      Neigung</hi> zum Lachen zu seyn, die manche Menschen, auch wohl ernsthafte                   Leute, denen man gewiß keine Leichtsinnigkeit Schuld geben kann, <hi rendition="#b">alsdann</hi> in sich empfinden, wenn ihnen andre ihre gehabten, oder                   gegenwa&#x0364;rtigen Leiden schildern. &#x2014; Es ist uns freilich nicht immer leicht, uns                   sogleich in die Stelle eines Elenden zu versetzen, der uns seine Leiden klagt, und                   natu&#x0364;rlich eine schnelle Theilnehmung von uns verlangt. Wir ko&#x0364;nnen grade zu der                   Zeit, daß uns ein Unglu&#x0364;cklicher aufsto&#x0364;ßt, zu froher Laune seyn, als daß wir uns                   sogleich fu&#x0364;r ihn umstimmen ko&#x0364;nnten; der Leidende kann auch uns nicht besonders                   angehen; er kann zu viel Schuld an seinem Unglu&#x0364;cke haben, seine Art zu klagen, und                   sich auszudru&#x0364;cken kann unartig, ungesittet seyn; er kann Leidenschaften verrathen,                   die mit unsern moralischen Begriffen nicht zusammenpassen; oder wir ko&#x0364;nnen auch                   glauben, daß der gro&#x0364;ßte Theil seines Uebels nur eingebildet ist, diese und mehrere                   Umsta&#x0364;nde ko&#x0364;nnen zusammenkommen, welche unser Mitleid zuru&#x0364;ckhalten, und uns wohl                   gar in eine Art Gleichgu&#x0364;ltigkeit gegen den Leidenden versetzen. &#x2014; Aber unsre Natur                   scheint uns doch dabey, um mich so auszudru&#x0364;cken, einen unansta&#x0364;ndigen Streich zu                   spielen, wenn sie uns da ein Lachen <hi rendition="#b">abzwingen</hi> will, wo                   andre einen mitleidsvollen Eindruck auf unser<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0100] konnten, oft vergebens von ihren Eltern gezuͤchtigt worden waͤren. Am ungewoͤhnlichsten, und sonderbarsten scheint aber die Neigung zum Lachen zu seyn, die manche Menschen, auch wohl ernsthafte Leute, denen man gewiß keine Leichtsinnigkeit Schuld geben kann, alsdann in sich empfinden, wenn ihnen andre ihre gehabten, oder gegenwaͤrtigen Leiden schildern. — Es ist uns freilich nicht immer leicht, uns sogleich in die Stelle eines Elenden zu versetzen, der uns seine Leiden klagt, und natuͤrlich eine schnelle Theilnehmung von uns verlangt. Wir koͤnnen grade zu der Zeit, daß uns ein Ungluͤcklicher aufstoͤßt, zu froher Laune seyn, als daß wir uns sogleich fuͤr ihn umstimmen koͤnnten; der Leidende kann auch uns nicht besonders angehen; er kann zu viel Schuld an seinem Ungluͤcke haben, seine Art zu klagen, und sich auszudruͤcken kann unartig, ungesittet seyn; er kann Leidenschaften verrathen, die mit unsern moralischen Begriffen nicht zusammenpassen; oder wir koͤnnen auch glauben, daß der groͤßte Theil seines Uebels nur eingebildet ist, diese und mehrere Umstaͤnde koͤnnen zusammenkommen, welche unser Mitleid zuruͤckhalten, und uns wohl gar in eine Art Gleichguͤltigkeit gegen den Leidenden versetzen. — Aber unsre Natur scheint uns doch dabey, um mich so auszudruͤcken, einen unanstaͤndigen Streich zu spielen, wenn sie uns da ein Lachen abzwingen will, wo andre einen mitleidsvollen Eindruck auf unser

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/100
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/100>, abgerufen am 27.11.2024.