Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.ten? Waren Despoten, denen die andern blindlings folgten; oder waren zärtliche Väter und Mütter, die sich zum Besten ihrer Familie unter einander vereinigten, (nicht nach Rousseaus Einfall, gelegentlich, und nur des sinnlichen Vergnügens wegen zusammenkamen, und eben so leicht wieder auseinander liefen*) die ersten Sprachlehrer ihrer Untergebenen? Von allen dem sagt uns aber die Geschichte gar nichts. Sie zeigt uns vielmehr den Menschen gleich bei seinem Anfange auf einer sehr hohen Stufe der Kultur, ohne die Jahrhunderte zu berühren, in welchen der Mensch erst nach und nach dahin gelangen mußte. Was war also natürlicher, als daß die Meinungen der Gelehrten über die Entstehung der Wortsprache sehr verschieden ausfallen mußten. Unter mehrern Meinungen giebt es immer eine, welche die bequemste ist, und gemeiniglich auch, weil sie die wenigste Anstrengung des Verstandes erfodert, den meisten Beifall findet. Welche es hier ist, wissen wir; aber welche die wahrscheinlichste seyn mag; -- welche in der Natur des Menschen; -- in dem natürlichsten Gebrauche sei- *) Discours sur l'origine & les fondemens de l'inegalite parmi les hommes. p. 90. Ed. Genev. 12. Tom. I.
ten? Waren Despoten, denen die andern blindlings folgten; oder waren zaͤrtliche Vaͤter und Muͤtter, die sich zum Besten ihrer Familie unter einander vereinigten, (nicht nach Rousseaus Einfall, gelegentlich, und nur des sinnlichen Vergnuͤgens wegen zusammenkamen, und eben so leicht wieder auseinander liefen*) die ersten Sprachlehrer ihrer Untergebenen? Von allen dem sagt uns aber die Geschichte gar nichts. Sie zeigt uns vielmehr den Menschen gleich bei seinem Anfange auf einer sehr hohen Stufe der Kultur, ohne die Jahrhunderte zu beruͤhren, in welchen der Mensch erst nach und nach dahin gelangen mußte. Was war also natuͤrlicher, als daß die Meinungen der Gelehrten uͤber die Entstehung der Wortsprache sehr verschieden ausfallen mußten. Unter mehrern Meinungen giebt es immer eine, welche die bequemste ist, und gemeiniglich auch, weil sie die wenigste Anstrengung des Verstandes erfodert, den meisten Beifall findet. Welche es hier ist, wissen wir; aber welche die wahrscheinlichste seyn mag; ― welche in der Natur des Menschen; ― in dem natuͤrlichsten Gebrauche sei- *) Discours sur l'origine & les fondemens de l'inégalité parmi les hommes. p. 90. Ed. Genev. 12. Tom. I.
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Von allen dem sagt uns aber die Geschichte gar nichts. Sie zeigt uns vielmehr den Menschen gleich bei seinem Anfange auf einer sehr hohen Stufe der Kultur, ohne die Jahrhunderte zu beruͤhren, in welchen der Mensch erst nach und nach dahin gelangen mußte.
Was war also natuͤrlicher, als daß die Meinungen der Gelehrten uͤber die Entstehung der Wortsprache sehr verschieden ausfallen mußten. Unter mehrern Meinungen giebt es immer eine, welche die bequemste ist, und gemeiniglich auch, weil sie die wenigste Anstrengung des Verstandes erfodert, den meisten Beifall findet. Welche es hier ist, wissen wir; aber welche die wahrscheinlichste seyn mag; ― welche in der Natur des Menschen; ― in dem natuͤrlichsten Gebrauche sei-
*) Discours sur l'origine & les fondemens de l'inégalité parmi les hommes. p. 90. Ed. Genev. 12. Tom. I.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/96>, abgerufen am 05.07.2024. |