Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Der Kaiser bemerkte sogleich, daß diese Methode bloß mechanisch sei, und man immer dieselbe Antwort erwarten müsse. Demohngeachtet verschmähen wir den Gebrauch der Daktilologie nicht ganz; wo sie nöthig ist, um die eigenthümlichen Nahmen der Menschen, Länder, Städte u.s.w. auszudrücken, welche, ihrer Natur nach, durch die methodischen Zeichen nicht können dargestellt werden. Se. Kaiserl. Majestät hat noch einen andern Versuch in unserer Kunst mit angesehen: ich hatte nehmlich fünf Taubstumme so gestellt, daß der eine nicht sehen konnte, was der andre schrieb, und so diktirte ich ihnen einen Satz, der ohngefähr aus zehn Wörtern bestand, und den ich durch die methodischen Zeichen ausdrückte, dieser Satz wurde von dem einen mit französischen, von dem andern mit lateinischen, von dem dritten mit italiänischen, von dem vierten mit spanischen und von dem fünften mit englischen Worten aufgeschrieben. Hieraus können Sie schliessen, daß ich nicht mit Unrecht behauptet habe, die allgemeine Sprache, welche schon so lange von den Gelehrten ge- *) Das ist dem armen Mädchen wohl zu glauben!
Der Kaiser bemerkte sogleich, daß diese Methode bloß mechanisch sei, und man immer dieselbe Antwort erwarten muͤsse. Demohngeachtet verschmaͤhen wir den Gebrauch der Daktilologie nicht ganz; wo sie noͤthig ist, um die eigenthuͤmlichen Nahmen der Menschen, Laͤnder, Staͤdte u.s.w. auszudruͤcken, welche, ihrer Natur nach, durch die methodischen Zeichen nicht koͤnnen dargestellt werden. Se. Kaiserl. Majestaͤt hat noch einen andern Versuch in unserer Kunst mit angesehen: ich hatte nehmlich fuͤnf Taubstumme so gestellt, daß der eine nicht sehen konnte, was der andre schrieb, und so diktirte ich ihnen einen Satz, der ohngefaͤhr aus zehn Woͤrtern bestand, und den ich durch die methodischen Zeichen ausdruͤckte, dieser Satz wurde von dem einen mit franzoͤsischen, von dem andern mit lateinischen, von dem dritten mit italiaͤnischen, von dem vierten mit spanischen und von dem fuͤnften mit englischen Worten aufgeschrieben. Hieraus koͤnnen Sie schliessen, daß ich nicht mit Unrecht behauptet habe, die allgemeine Sprache, welche schon so lange von den Gelehrten ge- *) Das ist dem armen Maͤdchen wohl zu glauben!
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methodischen Zeichen an den Tag legen solle, so gab sie zur Antwort: sie wisse nicht, was diese Worte sagen sollten.*)
Der Kaiser bemerkte sogleich, daß diese Methode bloß mechanisch sei, und man immer dieselbe Antwort erwarten muͤsse.
Demohngeachtet verschmaͤhen wir den Gebrauch der Daktilologie nicht ganz; wo sie noͤthig ist, um die eigenthuͤmlichen Nahmen der Menschen, Laͤnder, Staͤdte u.s.w. auszudruͤcken, welche, ihrer Natur nach, durch die methodischen Zeichen nicht koͤnnen dargestellt werden.
Se. Kaiserl. Majestaͤt hat noch einen andern Versuch in unserer Kunst mit angesehen: ich hatte nehmlich fuͤnf Taubstumme so gestellt, daß der eine nicht sehen konnte, was der andre schrieb, und so diktirte ich ihnen einen Satz, der ohngefaͤhr aus zehn Woͤrtern bestand, und den ich durch die methodischen Zeichen ausdruͤckte, dieser Satz wurde von dem einen mit franzoͤsischen, von dem andern mit lateinischen, von dem dritten mit italiaͤnischen, von dem vierten mit spanischen und von dem fuͤnften mit englischen Worten aufgeschrieben.
Hieraus koͤnnen Sie schliessen, daß ich nicht mit Unrecht behauptet habe, die allgemeine Sprache, welche schon so lange von den Gelehrten ge-
*) Das ist dem armen Maͤdchen wohl zu glauben!
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/79>, abgerufen am 05.07.2024. |