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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

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Gelegenheit nicht aus den Händen gelassen, sich seiner Last, die sein Herz drückte, zu entledigen, und war Abends zu ihr gegangen. Wohlstands wegen konnte sie ihn schon nicht meiden -- denn ob sie ihm schon einige Verbindlichkeiten schuldig war (denn er hatte ihr, obgleich mit vielem Geräusch einige Wohlthaten erzeigt) so stimmte ihr Herz doch nicht mit dem seinigen zusammen. Kaum war er also gekommen, als er schon ihr seine stürmischen Begierden zu erkennen gab. Sie wieß ihn mit den Worten ab: "ob das mit seinen guten Lehren übereinstimmte, die er ihr gegeben hätte, künftig ihr Leben zu bessern?" Dieß ärgerte ihn, und er warf ihr vor, daß er so vielen und noch mehreren Antheil an ihr hätte als ich -- (Wie eigennützig!) "Aber ihr Freund verlangt so etwas nicht;" antwortete sie ihm, und kurz darauf war er fortgegangen und hatte geschworen nicht wieder zu kommen.

Jch erfuhr des andern Tages gleich den ganzen Vorfall. Sie erzählte mir ihn mit Thränen. Jch kannte sein schlechtes rachgieriges Herz und -- meine Lage war schlimm. Er konnte, so unschuldig mein Umgang damals noch war, ihn doch ins häßlichste Licht stellen. Es vergingen acht bis vierzehn Tage, er ließ sich nicht sehen und nicht hören. Jch hing nun mit Leib und Seele an meiner neuen Liebe. Sobald meine Stunden mit meinen wenigen Kindern vorbei waren, ging ich zu ihr. Wir liebten uns zärtlich; denn unsre Gemüther stimm-


Gelegenheit nicht aus den Haͤnden gelassen, sich seiner Last, die sein Herz druͤckte, zu entledigen, und war Abends zu ihr gegangen. Wohlstands wegen konnte sie ihn schon nicht meiden ― denn ob sie ihm schon einige Verbindlichkeiten schuldig war (denn er hatte ihr, obgleich mit vielem Geraͤusch einige Wohlthaten erzeigt) so stimmte ihr Herz doch nicht mit dem seinigen zusammen. Kaum war er also gekommen, als er schon ihr seine stuͤrmischen Begierden zu erkennen gab. Sie wieß ihn mit den Worten ab: »ob das mit seinen guten Lehren uͤbereinstimmte, die er ihr gegeben haͤtte, kuͤnftig ihr Leben zu bessern?« Dieß aͤrgerte ihn, und er warf ihr vor, daß er so vielen und noch mehreren Antheil an ihr haͤtte als ich ― (Wie eigennuͤtzig!) »Aber ihr Freund verlangt so etwas nicht;« antwortete sie ihm, und kurz darauf war er fortgegangen und hatte geschworen nicht wieder zu kommen.

Jch erfuhr des andern Tages gleich den ganzen Vorfall. Sie erzaͤhlte mir ihn mit Thraͤnen. Jch kannte sein schlechtes rachgieriges Herz und ― meine Lage war schlimm. Er konnte, so unschuldig mein Umgang damals noch war, ihn doch ins haͤßlichste Licht stellen. Es vergingen acht bis vierzehn Tage, er ließ sich nicht sehen und nicht hoͤren. Jch hing nun mit Leib und Seele an meiner neuen Liebe. Sobald meine Stunden mit meinen wenigen Kindern vorbei waren, ging ich zu ihr. Wir liebten uns zaͤrtlich; denn unsre Gemuͤther stimm-

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[67/0067] Gelegenheit nicht aus den Haͤnden gelassen, sich seiner Last, die sein Herz druͤckte, zu entledigen, und war Abends zu ihr gegangen. Wohlstands wegen konnte sie ihn schon nicht meiden ― denn ob sie ihm schon einige Verbindlichkeiten schuldig war (denn er hatte ihr, obgleich mit vielem Geraͤusch einige Wohlthaten erzeigt) so stimmte ihr Herz doch nicht mit dem seinigen zusammen. Kaum war er also gekommen, als er schon ihr seine stuͤrmischen Begierden zu erkennen gab. Sie wieß ihn mit den Worten ab: »ob das mit seinen guten Lehren uͤbereinstimmte, die er ihr gegeben haͤtte, kuͤnftig ihr Leben zu bessern?« Dieß aͤrgerte ihn, und er warf ihr vor, daß er so vielen und noch mehreren Antheil an ihr haͤtte als ich ― (Wie eigennuͤtzig!) »Aber ihr Freund verlangt so etwas nicht;« antwortete sie ihm, und kurz darauf war er fortgegangen und hatte geschworen nicht wieder zu kommen. Jch erfuhr des andern Tages gleich den ganzen Vorfall. Sie erzaͤhlte mir ihn mit Thraͤnen. Jch kannte sein schlechtes rachgieriges Herz und ― meine Lage war schlimm. Er konnte, so unschuldig mein Umgang damals noch war, ihn doch ins haͤßlichste Licht stellen. Es vergingen acht bis vierzehn Tage, er ließ sich nicht sehen und nicht hoͤren. Jch hing nun mit Leib und Seele an meiner neuen Liebe. Sobald meine Stunden mit meinen wenigen Kindern vorbei waren, ging ich zu ihr. Wir liebten uns zaͤrtlich; denn unsre Gemuͤther stimm-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/67>, abgerufen am 04.12.2024.