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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

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Gesicht nicht gut unterscheiden konnten, die aber von hinten eine wirkliche Schönheit vermuthen ließ. N** hatte sie kaum erblickt, als er auf sie zueilte. Jch blieb sitzen. Nach einer Weile hörten meine Schmerzen auf, aber ich hatte keine Lust, ihm nachzugehen. Nach einer kleinen Weile kam er wieder und hatte das Mädchen an der Hand. Sie weinte, und mir fiel das auf. Jch frug nach der Ursach, und N*** sagte: wenn Du das wüßtest; das gute Mädchen hab' ich verkannt. Jch wurde immer neugieriger, und das Mädchen weinte fort. Endlich bat ich sie, uns ihr Unglück und die Ursach ihrer Thränen zu entdecken. Sie weigerte sich lange; endlich gab sie nach. Sie gab sich für eine Predigerstochter bei St** aus. Jhr Vater und Mutter sei ihr zeitig abgestorben, und sie wäre dann unter die Aufsicht einer Großmutter mütterlicher Seits gekommen, die aus Alter sich nicht viel um sie hätte bekümmern können. Sie sei daher in liederliche Gesellschaft gerathen; unter andern hätte ihr ein gewisses Mädchen immer sehr viel von Leipzig vorgeschwazt -- daß sie sich endlich von ihr hätte bereden lassen, ihre Großmutter zu bestehlen, und mit ihr fortzugehen. Sie wären bis nach H** gekommen, da hätte sie ihre Reisegefährtin bestohlen, ihr alle Kleider und Geld mitgenommen, und sie -- verlassen. Jm Wirthshaus sei sie einige Thaler schuldig gewesen, und da sie von nichts hätte bezahlen können, so hätte ihr der Wirth den


Gesicht nicht gut unterscheiden konnten, die aber von hinten eine wirkliche Schoͤnheit vermuthen ließ. N** hatte sie kaum erblickt, als er auf sie zueilte. Jch blieb sitzen. Nach einer Weile hoͤrten meine Schmerzen auf, aber ich hatte keine Lust, ihm nachzugehen. Nach einer kleinen Weile kam er wieder und hatte das Maͤdchen an der Hand. Sie weinte, und mir fiel das auf. Jch frug nach der Ursach, und N*** sagte: wenn Du das wuͤßtest; das gute Maͤdchen hab' ich verkannt. Jch wurde immer neugieriger, und das Maͤdchen weinte fort. Endlich bat ich sie, uns ihr Ungluͤck und die Ursach ihrer Thraͤnen zu entdecken. Sie weigerte sich lange; endlich gab sie nach. Sie gab sich fuͤr eine Predigerstochter bei St** aus. Jhr Vater und Mutter sei ihr zeitig abgestorben, und sie waͤre dann unter die Aufsicht einer Großmutter muͤtterlicher Seits gekommen, die aus Alter sich nicht viel um sie haͤtte bekuͤmmern koͤnnen. Sie sei daher in liederliche Gesellschaft gerathen; unter andern haͤtte ihr ein gewisses Maͤdchen immer sehr viel von Leipzig vorgeschwazt ― daß sie sich endlich von ihr haͤtte bereden lassen, ihre Großmutter zu bestehlen, und mit ihr fortzugehen. Sie waͤren bis nach H** gekommen, da haͤtte sie ihre Reisegefaͤhrtin bestohlen, ihr alle Kleider und Geld mitgenommen, und sie ― verlassen. Jm Wirthshaus sei sie einige Thaler schuldig gewesen, und da sie von nichts haͤtte bezahlen koͤnnen, so haͤtte ihr der Wirth den

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[62/0062] Gesicht nicht gut unterscheiden konnten, die aber von hinten eine wirkliche Schoͤnheit vermuthen ließ. N** hatte sie kaum erblickt, als er auf sie zueilte. Jch blieb sitzen. Nach einer Weile hoͤrten meine Schmerzen auf, aber ich hatte keine Lust, ihm nachzugehen. Nach einer kleinen Weile kam er wieder und hatte das Maͤdchen an der Hand. Sie weinte, und mir fiel das auf. Jch frug nach der Ursach, und N*** sagte: wenn Du das wuͤßtest; das gute Maͤdchen hab' ich verkannt. Jch wurde immer neugieriger, und das Maͤdchen weinte fort. Endlich bat ich sie, uns ihr Ungluͤck und die Ursach ihrer Thraͤnen zu entdecken. Sie weigerte sich lange; endlich gab sie nach. Sie gab sich fuͤr eine Predigerstochter bei St** aus. Jhr Vater und Mutter sei ihr zeitig abgestorben, und sie waͤre dann unter die Aufsicht einer Großmutter muͤtterlicher Seits gekommen, die aus Alter sich nicht viel um sie haͤtte bekuͤmmern koͤnnen. Sie sei daher in liederliche Gesellschaft gerathen; unter andern haͤtte ihr ein gewisses Maͤdchen immer sehr viel von Leipzig vorgeschwazt ― daß sie sich endlich von ihr haͤtte bereden lassen, ihre Großmutter zu bestehlen, und mit ihr fortzugehen. Sie waͤren bis nach H** gekommen, da haͤtte sie ihre Reisegefaͤhrtin bestohlen, ihr alle Kleider und Geld mitgenommen, und sie ― verlassen. Jm Wirthshaus sei sie einige Thaler schuldig gewesen, und da sie von nichts haͤtte bezahlen koͤnnen, so haͤtte ihr der Wirth den

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/62>, abgerufen am 12.12.2024.