Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


wahren Urtheil zu entgehen, und weil es doch auch nun Zeit war, einen gewissen Stand zu wählen, wählte ich die Chirurgie. Vermuthlich, weil dieser Stand in seiner eigentlichen Bedeutung -- weniger ermüdend zu seyn schien, und, weil ich vielleicht in meinen Robinsonaden gelesen hatte, daß ein Schifschirurgus sein Glück machen könnte. Mein Ziel war also zur See zu gehen. Jch kam acht Tage auf die Probe. Mein Gesicht wurde probiert -- und für gut befunden -- weil ich im Stande bin, die Gegenstände in der Entfernung einer halben Stunde nicht bloß klar, sondern auch deutlich anzugeben. -- Es war an dem, daß ich aufgedungen werden sollte; als ein andrer kam und mich ausstach.

Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein körperlich Leiden aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich anfangen sollte.

Nach vielem Hin- und Hersinnen wünschte ich irgendwo Schreiber werden zu können. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu üben; las Bücher und bemerkte


wahren Urtheil zu entgehen, und weil es doch auch nun Zeit war, einen gewissen Stand zu waͤhlen, waͤhlte ich die Chirurgie. Vermuthlich, weil dieser Stand in seiner eigentlichen Bedeutung ― weniger ermuͤdend zu seyn schien, und, weil ich vielleicht in meinen Robinsonaden gelesen hatte, daß ein Schifschirurgus sein Gluͤck machen koͤnnte. Mein Ziel war also zur See zu gehen. Jch kam acht Tage auf die Probe. Mein Gesicht wurde probiert ― und fuͤr gut befunden ― weil ich im Stande bin, die Gegenstaͤnde in der Entfernung einer halben Stunde nicht bloß klar, sondern auch deutlich anzugeben. ― Es war an dem, daß ich aufgedungen werden sollte; als ein andrer kam und mich ausstach.

Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein koͤrperlich Leiden aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich anfangen sollte.

Nach vielem Hin- und Hersinnen wuͤnschte ich irgendwo Schreiber werden zu koͤnnen. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu uͤben; las Buͤcher und bemerkte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0054" n="54"/><lb/>
wahren Urtheil zu entgehen, und weil es doch auch nun                         Zeit war, einen gewissen Stand zu wa&#x0364;hlen, wa&#x0364;hlte ich die Chirurgie.                         Vermuthlich, weil dieser Stand in seiner eigentlichen Bedeutung &#x2015; weniger                         ermu&#x0364;dend zu seyn schien, und, weil ich vielleicht in meinen Robinsonaden                         gelesen hatte, daß ein Schifschirurgus sein Glu&#x0364;ck machen ko&#x0364;nnte. Mein Ziel                         war also zur See zu gehen. Jch kam acht Tage auf die Probe. Mein Gesicht                         wurde probiert &#x2015; und fu&#x0364;r gut befunden &#x2015; weil ich im Stande bin, die                         Gegensta&#x0364;nde in der Entfernung einer halben Stunde nicht bloß <hi rendition="#b">klar</hi>, sondern auch <hi rendition="#b">deutlich</hi> anzugeben. &#x2015; Es war an dem, daß ich aufgedungen werden sollte; als ein                         andrer kam und mich ausstach. </p>
            <p>Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein ko&#x0364;rperlich Leiden                         aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht                         angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran                         schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also                         der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich                         anfangen sollte. </p>
            <p>Nach vielem Hin- und Hersinnen wu&#x0364;nschte ich irgendwo Schreiber werden zu                         ko&#x0364;nnen. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht                         einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu u&#x0364;ben; las Bu&#x0364;cher und                         bemerkte<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0054] wahren Urtheil zu entgehen, und weil es doch auch nun Zeit war, einen gewissen Stand zu waͤhlen, waͤhlte ich die Chirurgie. Vermuthlich, weil dieser Stand in seiner eigentlichen Bedeutung ― weniger ermuͤdend zu seyn schien, und, weil ich vielleicht in meinen Robinsonaden gelesen hatte, daß ein Schifschirurgus sein Gluͤck machen koͤnnte. Mein Ziel war also zur See zu gehen. Jch kam acht Tage auf die Probe. Mein Gesicht wurde probiert ― und fuͤr gut befunden ― weil ich im Stande bin, die Gegenstaͤnde in der Entfernung einer halben Stunde nicht bloß klar, sondern auch deutlich anzugeben. ― Es war an dem, daß ich aufgedungen werden sollte; als ein andrer kam und mich ausstach. Damals murrte ich zum erstenmahl wider Gott, daß er mir ein koͤrperlich Leiden aufgelegt hatte, welches jetzt zum Vorwande dienen mußte, daß ich nicht angenommen werden konnte. Allein nachher erfuhr ich, daß bloß das daran schuld gewesen war, daß ich kein Lehrgeld geben konnte. Hier war denn also der erste Strich durch meine Rechnung gemacht, und ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. Nach vielem Hin- und Hersinnen wuͤnschte ich irgendwo Schreiber werden zu koͤnnen. Aber meine Hand war schlecht; wer konnte mich brauchen, da ich nicht einmahl Rechtschreibung verstand? Jch fing an mich zu uͤben; las Buͤcher und bemerkte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/54
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/54>, abgerufen am 12.12.2024.