Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Jch wurde zu H*** den 21sten August 1759 mitten unter den Troublen des siebenjährigen schlesischen Krieges gebohren. Mein Vater war ein Weinhändler, der zwar nicht reich, doch auch nicht arm war, so daß er hoffen konnte, seine Kinder, deren er aus der zweiten Ehe (denn die aus der ersten waren nicht mehr am Leben) drei hatte, ehrlich erziehn zu können. Allein eben dieser verheerende Krieg zerrüttete bald seine häußlichen Glücksumstände. Unser Haus war am Anlauf; und folglich bei jedem feindlichen Ueberfall immer das erste Opfer. Jn zwei unglücklichen Abenden hintereinander wurden für 2000 und etliche hundert Thaler der theuersten Weine ein Raub der Feinde, die ihn theils aussoffen, theils auf die Erde laufen ließen, theils mitnahmen, nachdem sie den Fässern den Boden ausgeschlagen hatten. Mein Vater hatte flüchten müssen, weil sie ihn einigemahl sehr hart mit Schlägen behandelt hatten, und einer von den Kroaten hatte schon einmahl den Säbel aufgehoben gehabt, um ihm auf seine Weigerung, keinen Wein mehr herzugeben, ein Merkzeichen zu geben, wenn meine Mutter ihm nicht mit bloßen Händen in den Säbel gefallen, und ich und mein ältester Bruder uns nicht
Jch wurde zu H*** den 21sten August 1759 mitten unter den Troublen des siebenjaͤhrigen schlesischen Krieges gebohren. Mein Vater war ein Weinhaͤndler, der zwar nicht reich, doch auch nicht arm war, so daß er hoffen konnte, seine Kinder, deren er aus der zweiten Ehe (denn die aus der ersten waren nicht mehr am Leben) drei hatte, ehrlich erziehn zu koͤnnen. Allein eben dieser verheerende Krieg zerruͤttete bald seine haͤußlichen Gluͤcksumstaͤnde. Unser Haus war am Anlauf; und folglich bei jedem feindlichen Ueberfall immer das erste Opfer. Jn zwei ungluͤcklichen Abenden hintereinander wurden fuͤr 2000 und etliche hundert Thaler der theuersten Weine ein Raub der Feinde, die ihn theils aussoffen, theils auf die Erde laufen ließen, theils mitnahmen, nachdem sie den Faͤssern den Boden ausgeschlagen hatten. Mein Vater hatte fluͤchten muͤssen, weil sie ihn einigemahl sehr hart mit Schlaͤgen behandelt hatten, und einer von den Kroaten hatte schon einmahl den Saͤbel aufgehoben gehabt, um ihm auf seine Weigerung, keinen Wein mehr herzugeben, ein Merkzeichen zu geben, wenn meine Mutter ihm nicht mit bloßen Haͤnden in den Saͤbel gefallen, und ich und mein aͤltester Bruder uns nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0038" n="38"/><lb/> lassen, (aller Dazwischenkunft fremder Ursachen, die mich oft bestimmten, ohngeachtet) wenn meine Anlagen, die gut sind, nicht eine schiefe Richtung erhalten haͤtten. Doch es ist Zeit, daß ich nun meine Geschichte selbst anfange. </p> <p>Jch wurde zu H*** den 21sten August 1759 mitten unter den Troublen des siebenjaͤhrigen schlesischen Krieges gebohren. Mein Vater war ein Weinhaͤndler, der zwar nicht reich, doch auch nicht arm war, so daß er hoffen konnte, seine Kinder, deren er aus der zweiten Ehe (denn die aus der ersten waren nicht mehr am Leben) drei hatte, ehrlich erziehn zu koͤnnen. Allein eben dieser verheerende Krieg zerruͤttete bald seine haͤußlichen Gluͤcksumstaͤnde. Unser Haus war am Anlauf; und folglich bei jedem feindlichen Ueberfall immer das erste Opfer. Jn zwei ungluͤcklichen Abenden hintereinander wurden fuͤr 2000 und etliche hundert Thaler der theuersten Weine ein Raub der Feinde, die ihn theils aussoffen, theils auf die Erde laufen ließen, theils mitnahmen, nachdem sie den Faͤssern den Boden ausgeschlagen hatten. Mein Vater hatte fluͤchten muͤssen, weil sie ihn einigemahl sehr hart mit Schlaͤgen behandelt hatten, und einer von den Kroaten hatte schon einmahl den Saͤbel aufgehoben gehabt, um ihm auf seine Weigerung, keinen Wein mehr herzugeben, ein Merkzeichen zu geben, wenn meine Mutter ihm nicht mit bloßen Haͤnden in den Saͤbel gefallen, und ich und mein aͤltester Bruder uns nicht<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0038]
lassen, (aller Dazwischenkunft fremder Ursachen, die mich oft bestimmten, ohngeachtet) wenn meine Anlagen, die gut sind, nicht eine schiefe Richtung erhalten haͤtten. Doch es ist Zeit, daß ich nun meine Geschichte selbst anfange.
Jch wurde zu H*** den 21sten August 1759 mitten unter den Troublen des siebenjaͤhrigen schlesischen Krieges gebohren. Mein Vater war ein Weinhaͤndler, der zwar nicht reich, doch auch nicht arm war, so daß er hoffen konnte, seine Kinder, deren er aus der zweiten Ehe (denn die aus der ersten waren nicht mehr am Leben) drei hatte, ehrlich erziehn zu koͤnnen. Allein eben dieser verheerende Krieg zerruͤttete bald seine haͤußlichen Gluͤcksumstaͤnde. Unser Haus war am Anlauf; und folglich bei jedem feindlichen Ueberfall immer das erste Opfer. Jn zwei ungluͤcklichen Abenden hintereinander wurden fuͤr 2000 und etliche hundert Thaler der theuersten Weine ein Raub der Feinde, die ihn theils aussoffen, theils auf die Erde laufen ließen, theils mitnahmen, nachdem sie den Faͤssern den Boden ausgeschlagen hatten. Mein Vater hatte fluͤchten muͤssen, weil sie ihn einigemahl sehr hart mit Schlaͤgen behandelt hatten, und einer von den Kroaten hatte schon einmahl den Saͤbel aufgehoben gehabt, um ihm auf seine Weigerung, keinen Wein mehr herzugeben, ein Merkzeichen zu geben, wenn meine Mutter ihm nicht mit bloßen Haͤnden in den Saͤbel gefallen, und ich und mein aͤltester Bruder uns nicht
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/38>, abgerufen am 05.07.2024. |