Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Aber ich wollte doch nicht Berlin blos in seinen herrlichen Gebäuden, ich wollte es auch in seinen vorzüglichen, mich interessirenden Männern sehen, lief also zu meinen Professoren, die mir an sie Briefe geben konnten, und bat um welche. Doktor S.., das wußte ich, hatte dort die wichtigsten Bekanntschaften. Hin also zu ihm! Aber je näher seiner Wohnung, desto langsamer wird der Schritt, je ängstlicher und beklommner wirds ums Herz. Jch stehe still, denke nach, arbeite mich zu beruhigen, setze von neuem an; es wird ärger. Jch werde unwillig, wills durchaus durchsetzen, bin schon auf der Treppe vorm Hause; die Kniee wanken, die Hand, ich hatte sie nach dem Anklopfen der Hausthüre ausgestreckt, sie wird wie gelähmt. Himmel und Erde liegen auf mir. Jch muß alles Widerstrebens ohnerachtet zurück; nicht ohne Verdruß über mich selbst. Je weiter vom Hause weg, je leichter wirds ums Herz. Kannst du doch, dachte ich, einen andern Tag hingehn, da du bis zur Abreise einige noch vor dir hast. Aber es ging den andren Tag nicht besser. Jch wohnte damals mit T.., einem meiner besten Freunde, zusammen. Dem erzähle ich den Vorgang, werde aber, da ich ihn für eine
Aber ich wollte doch nicht Berlin blos in seinen herrlichen Gebaͤuden, ich wollte es auch in seinen vorzuͤglichen, mich interessirenden Maͤnnern sehen, lief also zu meinen Professoren, die mir an sie Briefe geben konnten, und bat um welche. Doktor S.., das wußte ich, hatte dort die wichtigsten Bekanntschaften. Hin also zu ihm! Aber je naͤher seiner Wohnung, desto langsamer wird der Schritt, je aͤngstlicher und beklommner wirds ums Herz. Jch stehe still, denke nach, arbeite mich zu beruhigen, setze von neuem an; es wird aͤrger. Jch werde unwillig, wills durchaus durchsetzen, bin schon auf der Treppe vorm Hause; die Kniee wanken, die Hand, ich hatte sie nach dem Anklopfen der Hausthuͤre ausgestreckt, sie wird wie gelaͤhmt. Himmel und Erde liegen auf mir. Jch muß alles Widerstrebens ohnerachtet zuruͤck; nicht ohne Verdruß uͤber mich selbst. Je weiter vom Hause weg, je leichter wirds ums Herz. Kannst du doch, dachte ich, einen andern Tag hingehn, da du bis zur Abreise einige noch vor dir hast. Aber es ging den andren Tag nicht besser. Jch wohnte damals mit T.., einem meiner besten Freunde, zusammen. Dem erzaͤhle ich den Vorgang, werde aber, da ich ihn fuͤr eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="28"/><lb/> theilen bleiben die naͤmlichen, und moͤchten wohl noch vortheilhafter werden; da reise nun ein andrer nicht nach Berlin! </p> <p>Aber ich wollte doch nicht Berlin blos in seinen herrlichen Gebaͤuden, ich wollte es auch in seinen vorzuͤglichen, mich interessirenden Maͤnnern sehen, lief also zu meinen Professoren, die mir an sie Briefe geben konnten, und bat um welche. </p> <p>Doktor S.., das wußte ich, hatte dort die wichtigsten Bekanntschaften. Hin also zu ihm! Aber je naͤher seiner Wohnung, desto langsamer wird der Schritt, je aͤngstlicher und beklommner wirds ums Herz. Jch stehe still, denke nach, arbeite mich zu beruhigen, setze von neuem an; es wird aͤrger. </p> <p>Jch werde unwillig, wills durchaus durchsetzen, bin schon auf der Treppe vorm Hause; die Kniee wanken, die Hand, ich hatte sie nach dem Anklopfen der Hausthuͤre ausgestreckt, sie wird wie gelaͤhmt. Himmel und Erde liegen auf mir. Jch muß alles Widerstrebens ohnerachtet zuruͤck; nicht ohne Verdruß uͤber mich selbst. </p> <p>Je weiter vom Hause weg, je leichter wirds ums Herz. Kannst du doch, dachte ich, einen andern Tag hingehn, da du bis zur Abreise einige noch vor dir hast. Aber es ging den andren Tag nicht besser. Jch wohnte damals mit T.., einem meiner besten Freunde, zusammen. Dem erzaͤhle ich den Vorgang, werde aber, da ich ihn fuͤr eine<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0028]
theilen bleiben die naͤmlichen, und moͤchten wohl noch vortheilhafter werden; da reise nun ein andrer nicht nach Berlin!
Aber ich wollte doch nicht Berlin blos in seinen herrlichen Gebaͤuden, ich wollte es auch in seinen vorzuͤglichen, mich interessirenden Maͤnnern sehen, lief also zu meinen Professoren, die mir an sie Briefe geben konnten, und bat um welche.
Doktor S.., das wußte ich, hatte dort die wichtigsten Bekanntschaften. Hin also zu ihm! Aber je naͤher seiner Wohnung, desto langsamer wird der Schritt, je aͤngstlicher und beklommner wirds ums Herz. Jch stehe still, denke nach, arbeite mich zu beruhigen, setze von neuem an; es wird aͤrger.
Jch werde unwillig, wills durchaus durchsetzen, bin schon auf der Treppe vorm Hause; die Kniee wanken, die Hand, ich hatte sie nach dem Anklopfen der Hausthuͤre ausgestreckt, sie wird wie gelaͤhmt. Himmel und Erde liegen auf mir. Jch muß alles Widerstrebens ohnerachtet zuruͤck; nicht ohne Verdruß uͤber mich selbst.
Je weiter vom Hause weg, je leichter wirds ums Herz. Kannst du doch, dachte ich, einen andern Tag hingehn, da du bis zur Abreise einige noch vor dir hast. Aber es ging den andren Tag nicht besser. Jch wohnte damals mit T.., einem meiner besten Freunde, zusammen. Dem erzaͤhle ich den Vorgang, werde aber, da ich ihn fuͤr eine
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/28>, abgerufen am 16.02.2025. |