Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Der französische Prediger ward mir Vater durch Zärtlichkeit, Wohlthun und Fürsorge, und war es so ganz, daß er mich nicht nur kein Bedürfniß wollte haben lassen, sondern auch nicht einmal die Miene eines Menschen, der Eines haben könnte, dem etwas abginge. Sein Kollege im Amte starb, und hinterließ eine trübsinnige Schwester, und eine wohlversorgte Wittwe, die er durch seinen letzten Willen verpflichtet hatte, jene bis zu ihrem Absterben bei sich zu behalten. Beide blieben das Gnadenjahr über in der Amtswohnung, und zogen hernach zu meinem Wohlthäter, bei dem ich nun mit ihnen bekannt werden konnte. Weil die Predigerwittwe aus Berlin war, wollte sie mit ihrer Schwägerin dahin zurückkehren. Aber mit in Rücksicht auf diese suchte sie eine Mannsperson zum Begleiter. Schon war so eine gefunden, alles zur Reise veranstaltet, der Tag der Abfahrt angesezt. Auf einmal zieht mich mein Wohlthäter auf die Seite, und trägt mir die Geleitschaft unter Bedingungen an, die nicht annehmlicher seyn konnten. Freie Reise, hieß es, hin und zurück; Vorschub, alles Sehenswürdige in und um Berlin herum zu sehen; Dank und besondre Vergeltung von der Kolonie; und alle Verbindungen mit allen ihren Vor-
Der franzoͤsische Prediger ward mir Vater durch Zaͤrtlichkeit, Wohlthun und Fuͤrsorge, und war es so ganz, daß er mich nicht nur kein Beduͤrfniß wollte haben lassen, sondern auch nicht einmal die Miene eines Menschen, der Eines haben koͤnnte, dem etwas abginge. Sein Kollege im Amte starb, und hinterließ eine truͤbsinnige Schwester, und eine wohlversorgte Wittwe, die er durch seinen letzten Willen verpflichtet hatte, jene bis zu ihrem Absterben bei sich zu behalten. Beide blieben das Gnadenjahr uͤber in der Amtswohnung, und zogen hernach zu meinem Wohlthaͤter, bei dem ich nun mit ihnen bekannt werden konnte. Weil die Predigerwittwe aus Berlin war, wollte sie mit ihrer Schwaͤgerin dahin zuruͤckkehren. Aber mit in Ruͤcksicht auf diese suchte sie eine Mannsperson zum Begleiter. Schon war so eine gefunden, alles zur Reise veranstaltet, der Tag der Abfahrt angesezt. Auf einmal zieht mich mein Wohlthaͤter auf die Seite, und traͤgt mir die Geleitschaft unter Bedingungen an, die nicht annehmlicher seyn konnten. Freie Reise, hieß es, hin und zuruͤck; Vorschub, alles Sehenswuͤrdige in und um Berlin herum zu sehen; Dank und besondre Vergeltung von der Kolonie; und alle Verbindungen mit allen ihren Vor- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0027" n="27"/><lb/> liegen, mir Wohlstand, Vergnuͤgen und voͤllige Zufriedenheit gewaͤhrte. </p> <p>Der franzoͤsische Prediger ward mir Vater durch Zaͤrtlichkeit, Wohlthun und Fuͤrsorge, und war es so ganz, daß er mich nicht nur kein Beduͤrfniß wollte haben lassen, sondern auch nicht einmal die Miene eines Menschen, der Eines haben koͤnnte, <hi rendition="#b">dem etwas abginge.</hi> </p> <p>Sein Kollege im Amte starb, und hinterließ eine truͤbsinnige Schwester, und eine wohlversorgte Wittwe, die er durch seinen letzten Willen verpflichtet hatte, jene bis zu ihrem Absterben bei sich zu behalten. Beide blieben das Gnadenjahr uͤber in der Amtswohnung, und zogen hernach zu meinem Wohlthaͤter, bei dem ich nun mit ihnen bekannt werden konnte. </p> <p>Weil die Predigerwittwe aus Berlin war, wollte sie mit ihrer Schwaͤgerin dahin zuruͤckkehren. Aber mit in Ruͤcksicht auf diese suchte sie eine Mannsperson zum Begleiter. Schon war so eine gefunden, alles zur Reise veranstaltet, der Tag der Abfahrt angesezt. </p> <p>Auf einmal zieht mich mein Wohlthaͤter auf die Seite, und traͤgt mir die Geleitschaft unter Bedingungen an, die nicht annehmlicher seyn konnten. Freie Reise, hieß es, hin und zuruͤck; Vorschub, alles Sehenswuͤrdige in und um Berlin herum zu sehen; Dank und besondre Vergeltung von der Kolonie; und alle Verbindungen mit allen ihren Vor-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0027]
liegen, mir Wohlstand, Vergnuͤgen und voͤllige Zufriedenheit gewaͤhrte.
Der franzoͤsische Prediger ward mir Vater durch Zaͤrtlichkeit, Wohlthun und Fuͤrsorge, und war es so ganz, daß er mich nicht nur kein Beduͤrfniß wollte haben lassen, sondern auch nicht einmal die Miene eines Menschen, der Eines haben koͤnnte, dem etwas abginge.
Sein Kollege im Amte starb, und hinterließ eine truͤbsinnige Schwester, und eine wohlversorgte Wittwe, die er durch seinen letzten Willen verpflichtet hatte, jene bis zu ihrem Absterben bei sich zu behalten. Beide blieben das Gnadenjahr uͤber in der Amtswohnung, und zogen hernach zu meinem Wohlthaͤter, bei dem ich nun mit ihnen bekannt werden konnte.
Weil die Predigerwittwe aus Berlin war, wollte sie mit ihrer Schwaͤgerin dahin zuruͤckkehren. Aber mit in Ruͤcksicht auf diese suchte sie eine Mannsperson zum Begleiter. Schon war so eine gefunden, alles zur Reise veranstaltet, der Tag der Abfahrt angesezt.
Auf einmal zieht mich mein Wohlthaͤter auf die Seite, und traͤgt mir die Geleitschaft unter Bedingungen an, die nicht annehmlicher seyn konnten. Freie Reise, hieß es, hin und zuruͤck; Vorschub, alles Sehenswuͤrdige in und um Berlin herum zu sehen; Dank und besondre Vergeltung von der Kolonie; und alle Verbindungen mit allen ihren Vor-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/27>, abgerufen am 16.02.2025. |