Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Jch bin im geringsten nicht dafür, zufällige, unbedeutende Kleinigkeiten, die im menschlichen Leben sehr häufig vorkommen können, für erheblich und bedeutend zu halten; und ich habe dieß nur erzählt, wie man überhaupt etwas nach dem Tode einer Person erzählt, was man sich von ihr erinnert. Aber sollte nicht schon der Keim einer Krankheit im Körper gelegen, nicht vielleicht schon ein Wurm an dieser Knospe genagt, und so vielleicht ein dunkles Gefühl von einem nahen Tode veranlaßt haben? Jn seiner Krankheit selbst behielt er eben das Gesetzte für sein Alter; er tröstete seine Aeltern, sagte, daß es doch besser wäre, wenn er, als wenn sein Vater stürbe, weil dieser noch für die Seinigen sorgen könnte; er redete oft vom Tode, ließ sich Lieder solchen Jnhalts vorlesen und zeigte auch so noch durch sein ganzes Verhalten eine fast männliche Seele. Einmal frägt ihn seine Mutter, ob er sich nicht vor dem Tode fürchte -- Warum sollt ich das thun? antwortete er; es ist damit wie mit dem Gewitter: viele Menschen fürchten sich auch davor, und wenn es vorüber ist, ist es doch so nützlich gewesen. -- Ein andermal frägt er seine für ihn schon besorgte Mutter: ob er wohl eine Sünde begangen habe? und erzählt dabei: wie er sich erinnere, daß er in der Schule zwischen zwei seiner
Jch bin im geringsten nicht dafuͤr, zufaͤllige, unbedeutende Kleinigkeiten, die im menschlichen Leben sehr haͤufig vorkommen koͤnnen, fuͤr erheblich und bedeutend zu halten; und ich habe dieß nur erzaͤhlt, wie man uͤberhaupt etwas nach dem Tode einer Person erzaͤhlt, was man sich von ihr erinnert. Aber sollte nicht schon der Keim einer Krankheit im Koͤrper gelegen, nicht vielleicht schon ein Wurm an dieser Knospe genagt, und so vielleicht ein dunkles Gefuͤhl von einem nahen Tode veranlaßt haben? Jn seiner Krankheit selbst behielt er eben das Gesetzte fuͤr sein Alter; er troͤstete seine Aeltern, sagte, daß es doch besser waͤre, wenn er, als wenn sein Vater stuͤrbe, weil dieser noch fuͤr die Seinigen sorgen koͤnnte; er redete oft vom Tode, ließ sich Lieder solchen Jnhalts vorlesen und zeigte auch so noch durch sein ganzes Verhalten eine fast maͤnnliche Seele. Einmal fraͤgt ihn seine Mutter, ob er sich nicht vor dem Tode fuͤrchte ― Warum sollt ich das thun? antwortete er; es ist damit wie mit dem Gewitter: viele Menschen fuͤrchten sich auch davor, und wenn es voruͤber ist, ist es doch so nuͤtzlich gewesen. ― Ein andermal fraͤgt er seine fuͤr ihn schon besorgte Mutter: ob er wohl eine Suͤnde begangen habe? und erzaͤhlt dabei: wie er sich erinnere, daß er in der Schule zwischen zwei seiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0108" n="108"/><lb/> gab er zur Antwort: man muͤsse ja auch an sein Ende denken. </p> <p>Jch bin im geringsten nicht dafuͤr, zufaͤllige, unbedeutende Kleinigkeiten, die im menschlichen Leben sehr haͤufig vorkommen koͤnnen, fuͤr erheblich und bedeutend zu halten; und ich habe dieß nur erzaͤhlt, wie man uͤberhaupt etwas nach dem Tode einer Person erzaͤhlt, was man sich von ihr erinnert. Aber sollte nicht schon der Keim einer Krankheit im Koͤrper gelegen, nicht vielleicht schon ein Wurm an dieser Knospe genagt, und so vielleicht ein dunkles Gefuͤhl von einem nahen Tode veranlaßt haben? </p> <p>Jn seiner Krankheit selbst behielt er eben das Gesetzte fuͤr sein Alter; er troͤstete seine Aeltern, sagte, daß es doch besser waͤre, wenn er, als wenn sein Vater stuͤrbe, weil dieser noch fuͤr die Seinigen sorgen koͤnnte; er redete oft vom Tode, ließ sich Lieder solchen Jnhalts vorlesen und zeigte auch so noch durch sein ganzes Verhalten eine fast maͤnnliche Seele. Einmal fraͤgt ihn seine Mutter, ob er sich nicht vor dem Tode fuͤrchte ― Warum sollt ich das thun? antwortete er; es ist damit wie mit dem Gewitter: viele Menschen fuͤrchten sich auch davor, und wenn es voruͤber ist, ist es doch so nuͤtzlich gewesen. ― Ein andermal fraͤgt er seine fuͤr ihn schon besorgte Mutter: ob er wohl eine Suͤnde begangen habe? und erzaͤhlt dabei: wie er sich erinnere, daß er in der Schule zwischen zwei seiner<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0108]
gab er zur Antwort: man muͤsse ja auch an sein Ende denken.
Jch bin im geringsten nicht dafuͤr, zufaͤllige, unbedeutende Kleinigkeiten, die im menschlichen Leben sehr haͤufig vorkommen koͤnnen, fuͤr erheblich und bedeutend zu halten; und ich habe dieß nur erzaͤhlt, wie man uͤberhaupt etwas nach dem Tode einer Person erzaͤhlt, was man sich von ihr erinnert. Aber sollte nicht schon der Keim einer Krankheit im Koͤrper gelegen, nicht vielleicht schon ein Wurm an dieser Knospe genagt, und so vielleicht ein dunkles Gefuͤhl von einem nahen Tode veranlaßt haben?
Jn seiner Krankheit selbst behielt er eben das Gesetzte fuͤr sein Alter; er troͤstete seine Aeltern, sagte, daß es doch besser waͤre, wenn er, als wenn sein Vater stuͤrbe, weil dieser noch fuͤr die Seinigen sorgen koͤnnte; er redete oft vom Tode, ließ sich Lieder solchen Jnhalts vorlesen und zeigte auch so noch durch sein ganzes Verhalten eine fast maͤnnliche Seele. Einmal fraͤgt ihn seine Mutter, ob er sich nicht vor dem Tode fuͤrchte ― Warum sollt ich das thun? antwortete er; es ist damit wie mit dem Gewitter: viele Menschen fuͤrchten sich auch davor, und wenn es voruͤber ist, ist es doch so nuͤtzlich gewesen. ― Ein andermal fraͤgt er seine fuͤr ihn schon besorgte Mutter: ob er wohl eine Suͤnde begangen habe? und erzaͤhlt dabei: wie er sich erinnere, daß er in der Schule zwischen zwei seiner
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/108>, abgerufen am 16.02.2025. |