Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.Zur Seelenzeichenkunde. Beitrag zur Schilderung jugendlicher Charaktere. [Schülercharakteristik] ![]() *** Etwa sieben Jahr alt, gehört zu den vielversprechenden Kindern. Freilich ist auch er noch in dem Alter, worinn sich von seinen itzigen Anlagen und Aeußrungen, auf etwas daraus folgendes, nur mit einem geringen Grade der Wahrscheinlichkeit schliessen läßt; allein das, was er jetzt ist, mit seiner häuslichen Erziehung zusammengenommen, lassen viel hoffen. Er ist ernsthaft, gesetzt, und verräth in seinen Fragen und Antworten oft eine Beurtheilungskraft, die man in dem Alter für sehr etwas seltnes ansehen muß. Seine Ernsthaftigkeit ist Natur, und fällt also, wenn man ihn einmal kennt, nicht mehr auf; überdieß ist sie mit einer sanften, gutherzigen Mine verbunden, daß er gleich einnimmt, und er ist einer von den wenigen, die sich gleich bleiben, die sich Liebe zu gewinnen und zu erhalten wissen. Sein Fleiß ist seinen Kräften angemessen; und da er immer aufmerksam auf alles ist: so begreift er nicht allein eine Sache leicht; sondern findet auch oft noch hie und da eine Frage nöthig, die für ihn die Sache deut- Zur Seelenzeichenkunde. Beitrag zur Schilderung jugendlicher Charaktere. [Schuͤlercharakteristik] ![]() *** Etwa sieben Jahr alt, gehoͤrt zu den vielversprechenden Kindern. Freilich ist auch er noch in dem Alter, worinn sich von seinen itzigen Anlagen und Aeußrungen, auf etwas daraus folgendes, nur mit einem geringen Grade der Wahrscheinlichkeit schliessen laͤßt; allein das, was er jetzt ist, mit seiner haͤuslichen Erziehung zusammengenommen, lassen viel hoffen. Er ist ernsthaft, gesetzt, und verraͤth in seinen Fragen und Antworten oft eine Beurtheilungskraft, die man in dem Alter fuͤr sehr etwas seltnes ansehen muß. Seine Ernsthaftigkeit ist Natur, und faͤllt also, wenn man ihn einmal kennt, nicht mehr auf; uͤberdieß ist sie mit einer sanften, gutherzigen Mine verbunden, daß er gleich einnimmt, und er ist einer von den wenigen, die sich gleich bleiben, die sich Liebe zu gewinnen und zu erhalten wissen. Sein Fleiß ist seinen Kraͤften angemessen; und da er immer aufmerksam auf alles ist: so begreift er nicht allein eine Sache leicht; sondern findet auch oft noch hie und da eine Frage noͤthig, die fuͤr ihn die Sache deut- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0105" n="105"/><lb/><lb/> </div> </div> <div n="2"> <head>Zur Seelenzeichenkunde. </head><lb/> <div n="3"> <head>Beitrag zur Schilderung jugendlicher Charaktere. </head><lb/> <head>[Schuͤlercharakteristik]</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref88"><note type="editorial"/>Seidel, Johann Friedrich</persName> </bibl> </note> <p>*** Etwa sieben Jahr alt, gehoͤrt zu den vielversprechenden Kindern. Freilich ist auch er noch in dem Alter, worinn sich von seinen itzigen Anlagen und Aeußrungen, auf etwas daraus folgendes, nur mit einem geringen Grade der Wahrscheinlichkeit schliessen laͤßt; allein das, was er jetzt ist, mit seiner haͤuslichen Erziehung zusammengenommen, lassen viel hoffen. Er ist ernsthaft, gesetzt, und verraͤth in seinen Fragen und Antworten oft eine Beurtheilungskraft, die man in dem Alter fuͤr sehr etwas seltnes ansehen muß. Seine Ernsthaftigkeit ist Natur, und faͤllt also, wenn man ihn einmal kennt, nicht mehr auf; uͤberdieß ist sie mit einer sanften, gutherzigen Mine verbunden, daß er gleich einnimmt, und er ist einer von den wenigen, die sich gleich bleiben, die sich Liebe zu gewinnen und zu erhalten wissen. Sein Fleiß ist seinen Kraͤften angemessen; und da er immer aufmerksam auf alles ist: so begreift er nicht allein eine Sache leicht; sondern findet auch oft noch hie und da eine Frage noͤthig, die fuͤr ihn die Sache deut-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0105]
Zur Seelenzeichenkunde.
Beitrag zur Schilderung jugendlicher Charaktere.
[Schuͤlercharakteristik]
*** Etwa sieben Jahr alt, gehoͤrt zu den vielversprechenden Kindern. Freilich ist auch er noch in dem Alter, worinn sich von seinen itzigen Anlagen und Aeußrungen, auf etwas daraus folgendes, nur mit einem geringen Grade der Wahrscheinlichkeit schliessen laͤßt; allein das, was er jetzt ist, mit seiner haͤuslichen Erziehung zusammengenommen, lassen viel hoffen. Er ist ernsthaft, gesetzt, und verraͤth in seinen Fragen und Antworten oft eine Beurtheilungskraft, die man in dem Alter fuͤr sehr etwas seltnes ansehen muß. Seine Ernsthaftigkeit ist Natur, und faͤllt also, wenn man ihn einmal kennt, nicht mehr auf; uͤberdieß ist sie mit einer sanften, gutherzigen Mine verbunden, daß er gleich einnimmt, und er ist einer von den wenigen, die sich gleich bleiben, die sich Liebe zu gewinnen und zu erhalten wissen. Sein Fleiß ist seinen Kraͤften angemessen; und da er immer aufmerksam auf alles ist: so begreift er nicht allein eine Sache leicht; sondern findet auch oft noch hie und da eine Frage noͤthig, die fuͤr ihn die Sache deut-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/105>, abgerufen am 05.07.2024. |