Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Bei Jnquisiten sind alle Regeln seiner Handlungen nichts anders, als bloße Muthmaßungen und natürliche Triebe, unter welchen keine einzige den Werth eines Gesetzes behaupten kann. Ferner, wenn er würklich so weit künftig könnte gebracht werden (bisher ist keine Spur eines von seinem Gewissen gehuldigten Gesetzes vorhanden), daß er gewisse Vorstellungen als Gesetze, die ihn zum Gehorsam verpflichten, ansehen könnte, so habe ich oben schon gemeldet, daß er in Ansehung der Subsumtion entweder ungewiß oder irrig verfahren müsse. Denn da jeder Gedanke ein Bild und jedes Bild mit andern Umständen verknüpfet ist, so kann er nicht wissen, welches die eigentlichen Umstände sind, auf welchen die Subsumtion beruhet. Jhn dünkt, daß die Besteigung des Baums so wesentlich zu seiner That gehöre, als die Plünderung des Entleibten. Aus diesem Umstande kann man erklären, warum er zuweilen seinen Mord als eine Heldenthat ansiehet, zuweilen Angst und Reue drüber bezeuget; warum er so willig ist, sie vorzumahlen, warum er auch die geringsten Umstände bemerket, weil er nicht gewiß weiß, was zu seiner Entschuldigung gereichen könnte. Jch wüßte nicht, ob ein Umstand von Wichtigkeit bei dieser Mordthat noch möglich seyn könne, Bei Jnquisiten sind alle Regeln seiner Handlungen nichts anders, als bloße Muthmaßungen und natuͤrliche Triebe, unter welchen keine einzige den Werth eines Gesetzes behaupten kann. Ferner, wenn er wuͤrklich so weit kuͤnftig koͤnnte gebracht werden (bisher ist keine Spur eines von seinem Gewissen gehuldigten Gesetzes vorhanden), daß er gewisse Vorstellungen als Gesetze, die ihn zum Gehorsam verpflichten, ansehen koͤnnte, so habe ich oben schon gemeldet, daß er in Ansehung der Subsumtion entweder ungewiß oder irrig verfahren muͤsse. Denn da jeder Gedanke ein Bild und jedes Bild mit andern Umstaͤnden verknuͤpfet ist, so kann er nicht wissen, welches die eigentlichen Umstaͤnde sind, auf welchen die Subsumtion beruhet. Jhn duͤnkt, daß die Besteigung des Baums so wesentlich zu seiner That gehoͤre, als die Pluͤnderung des Entleibten. Aus diesem Umstande kann man erklaͤren, warum er zuweilen seinen Mord als eine Heldenthat ansiehet, zuweilen Angst und Reue druͤber bezeuget; warum er so willig ist, sie vorzumahlen, warum er auch die geringsten Umstaͤnde bemerket, weil er nicht gewiß weiß, was zu seiner Entschuldigung gereichen koͤnnte. Jch wuͤßte nicht, ob ein Umstand von Wichtigkeit bei dieser Mordthat noch moͤglich seyn koͤnne, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0064" n="64"/><lb/> <p>Bei Jnquisiten sind alle Regeln seiner Handlungen nichts anders, als bloße Muthmaßungen und natuͤrliche Triebe, unter welchen keine einzige den Werth eines Gesetzes behaupten kann.</p> <p>Ferner, wenn er wuͤrklich so weit kuͤnftig koͤnnte gebracht werden (bisher ist keine Spur eines von seinem Gewissen gehuldigten Gesetzes vorhanden), daß er gewisse Vorstellungen als Gesetze, die ihn zum Gehorsam verpflichten, ansehen koͤnnte, so habe ich oben schon gemeldet, daß er in Ansehung der Subsumtion entweder ungewiß oder irrig verfahren muͤsse.</p> <p>Denn da jeder Gedanke ein Bild und jedes Bild mit andern Umstaͤnden verknuͤpfet ist, so kann er nicht wissen, welches die eigentlichen Umstaͤnde sind, auf welchen die Subsumtion beruhet.</p> <p>Jhn duͤnkt, daß die Besteigung des Baums so wesentlich zu seiner That gehoͤre, als die Pluͤnderung des Entleibten.</p> <p>Aus diesem Umstande kann man erklaͤren, warum er zuweilen seinen Mord als eine Heldenthat ansiehet, zuweilen Angst und Reue druͤber bezeuget; warum er so willig ist, sie vorzumahlen, warum er auch die geringsten Umstaͤnde bemerket, weil er nicht gewiß weiß, was zu seiner Entschuldigung gereichen koͤnnte.</p> <p>Jch wuͤßte nicht, ob ein Umstand von Wichtigkeit bei dieser Mordthat noch moͤglich seyn koͤnne,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0064]
Bei Jnquisiten sind alle Regeln seiner Handlungen nichts anders, als bloße Muthmaßungen und natuͤrliche Triebe, unter welchen keine einzige den Werth eines Gesetzes behaupten kann.
Ferner, wenn er wuͤrklich so weit kuͤnftig koͤnnte gebracht werden (bisher ist keine Spur eines von seinem Gewissen gehuldigten Gesetzes vorhanden), daß er gewisse Vorstellungen als Gesetze, die ihn zum Gehorsam verpflichten, ansehen koͤnnte, so habe ich oben schon gemeldet, daß er in Ansehung der Subsumtion entweder ungewiß oder irrig verfahren muͤsse.
Denn da jeder Gedanke ein Bild und jedes Bild mit andern Umstaͤnden verknuͤpfet ist, so kann er nicht wissen, welches die eigentlichen Umstaͤnde sind, auf welchen die Subsumtion beruhet.
Jhn duͤnkt, daß die Besteigung des Baums so wesentlich zu seiner That gehoͤre, als die Pluͤnderung des Entleibten.
Aus diesem Umstande kann man erklaͤren, warum er zuweilen seinen Mord als eine Heldenthat ansiehet, zuweilen Angst und Reue druͤber bezeuget; warum er so willig ist, sie vorzumahlen, warum er auch die geringsten Umstaͤnde bemerket, weil er nicht gewiß weiß, was zu seiner Entschuldigung gereichen koͤnnte.
Jch wuͤßte nicht, ob ein Umstand von Wichtigkeit bei dieser Mordthat noch moͤglich seyn koͤnne,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/64>, abgerufen am 26.07.2024. |