Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Man brachte sie unverzüglich zu mir, und ich hatte neue Mühe, sie zu überzeugen, daß der Selbstmord der Weg zum Himmel nicht sey. Nachmals hat sie ein christliches, arbeitsames und stilles Leben fortgesetzet, und es kann seyn, daß sie noch lebt. Diese Person sah sich nach jeden Knalle um; sie konnte auch wissen, wenn die Orgel in der Kirche gerühret wurde. Auf Befragen, wie solches zugehe? versetzte sie: ihre Füße benachrichtigten sie davon (durch die Erschütterung). Ja, als sie einsmal sich Glas in die Fußsohle getreten hatte, war sie mir anmuthend, zuzuhören, wie der Fuß brumme. Ein Beweis, daß es möglich sey, daß Taube zuweilen scheinen können, etwas zu hören: aber auch ein Beweis, wie schwer es hergehe, diese Leute von der Sittlichkeit ihrer Handlungen zu unterrichten. Aus dem allen erhellet, daß man den Jnquisiten in die Mitte dieser beiden Personen zu stellen habe. Es ist nicht möglich, daß er taub und stumm gebohren seyn könne; aber er muß sein Gehör zugleich mit der Sprache und zwar sehr frühzeitig, noch eher als er lesen gelernet hatte, verlohren haben.
Man brachte sie unverzuͤglich zu mir, und ich hatte neue Muͤhe, sie zu uͤberzeugen, daß der Selbstmord der Weg zum Himmel nicht sey. Nachmals hat sie ein christliches, arbeitsames und stilles Leben fortgesetzet, und es kann seyn, daß sie noch lebt. Diese Person sah sich nach jeden Knalle um; sie konnte auch wissen, wenn die Orgel in der Kirche geruͤhret wurde. Auf Befragen, wie solches zugehe? versetzte sie: ihre Fuͤße benachrichtigten sie davon (durch die Erschuͤtterung). Ja, als sie einsmal sich Glas in die Fußsohle getreten hatte, war sie mir anmuthend, zuzuhoͤren, wie der Fuß brumme. Ein Beweis, daß es moͤglich sey, daß Taube zuweilen scheinen koͤnnen, etwas zu hoͤren: aber auch ein Beweis, wie schwer es hergehe, diese Leute von der Sittlichkeit ihrer Handlungen zu unterrichten. Aus dem allen erhellet, daß man den Jnquisiten in die Mitte dieser beiden Personen zu stellen habe. Es ist nicht moͤglich, daß er taub und stumm gebohren seyn koͤnne; aber er muß sein Gehoͤr zugleich mit der Sprache und zwar sehr fruͤhzeitig, noch eher als er lesen gelernet hatte, verlohren haben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0061" n="61"/><lb/> begehre sie nicht mehr, in einer suͤndlichen und muͤhseligen Welt zu leben: sie werde nach verrichteter Arbeit ein Gebet thun und darauf sich im Garten an dem mitgebrachten Stricke erhenken.</p> <p>Man brachte sie unverzuͤglich zu mir, und ich hatte neue Muͤhe, sie zu uͤberzeugen, daß der Selbstmord der Weg zum Himmel nicht sey.</p> <p>Nachmals hat sie ein christliches, arbeitsames und stilles Leben fortgesetzet, und es kann seyn, daß sie noch lebt.</p> <p>Diese Person sah sich nach jeden Knalle um; sie konnte auch wissen, wenn die Orgel in der Kirche geruͤhret wurde.</p> <p>Auf Befragen, wie solches zugehe? versetzte sie: ihre Fuͤße benachrichtigten sie davon (durch die Erschuͤtterung). Ja, als sie einsmal sich Glas in die Fußsohle getreten hatte, war sie mir anmuthend, zuzuhoͤren, wie der Fuß brumme.</p> <p>Ein Beweis, daß es moͤglich sey, daß Taube zuweilen scheinen koͤnnen, etwas zu hoͤren: aber auch ein Beweis, wie schwer es hergehe, diese Leute von der Sittlichkeit ihrer Handlungen zu unterrichten.</p> <p>Aus dem allen erhellet, daß man den Jnquisiten in die Mitte dieser beiden Personen zu stellen habe. Es ist nicht moͤglich, daß er taub und stumm gebohren seyn koͤnne; aber er muß sein Gehoͤr zugleich mit der Sprache und zwar sehr fruͤhzeitig, noch eher als er lesen gelernet hatte, verlohren haben.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0061]
begehre sie nicht mehr, in einer suͤndlichen und muͤhseligen Welt zu leben: sie werde nach verrichteter Arbeit ein Gebet thun und darauf sich im Garten an dem mitgebrachten Stricke erhenken.
Man brachte sie unverzuͤglich zu mir, und ich hatte neue Muͤhe, sie zu uͤberzeugen, daß der Selbstmord der Weg zum Himmel nicht sey.
Nachmals hat sie ein christliches, arbeitsames und stilles Leben fortgesetzet, und es kann seyn, daß sie noch lebt.
Diese Person sah sich nach jeden Knalle um; sie konnte auch wissen, wenn die Orgel in der Kirche geruͤhret wurde.
Auf Befragen, wie solches zugehe? versetzte sie: ihre Fuͤße benachrichtigten sie davon (durch die Erschuͤtterung). Ja, als sie einsmal sich Glas in die Fußsohle getreten hatte, war sie mir anmuthend, zuzuhoͤren, wie der Fuß brumme.
Ein Beweis, daß es moͤglich sey, daß Taube zuweilen scheinen koͤnnen, etwas zu hoͤren: aber auch ein Beweis, wie schwer es hergehe, diese Leute von der Sittlichkeit ihrer Handlungen zu unterrichten.
Aus dem allen erhellet, daß man den Jnquisiten in die Mitte dieser beiden Personen zu stellen habe. Es ist nicht moͤglich, daß er taub und stumm gebohren seyn koͤnne; aber er muß sein Gehoͤr zugleich mit der Sprache und zwar sehr fruͤhzeitig, noch eher als er lesen gelernet hatte, verlohren haben.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/61>, abgerufen am 16.02.2025. |