Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Auf der Straße hält er sich, wenn er irgend kann, zu mir, und sagt mir dann mit großer Zutraulichkeit: daß er zu Hause recht fleißig wäre. Jch werde meine Beobachtungen über ihn fortsetzen; denn im Ganzen ist freilich Anlage da; aber sie ist noch zu wenig entwickelt und zu wenig sichtbar, als daß man mit einiger Sicherheit mehr schließen könnte, als: er kann ein geschickter, gutmüthiger Mensch werden. ** von zwölf bis dreizehn Jahren hat für sein Alter so viel Sonderbares, daß er sich vor vielen dadurch auszeichnet. Jn seinen Minen herrscht eine gewisse Einfalt, die aber schon vermuthen läßt, daß sie nicht das herrschende seines jetzigen Karakters allein ausmacht. Und so ist es auch. Seine Einfalt ist mit dem auffallendsten Eigensinn und Eigendünkel verknüpft. Er ist dabei immer geschäftig, immer unruhig. Es fehlt ihm durchaus alles Gefällige, wodurch er sich bei seinen Mitschülern beliebt machen könnte. Entweder sitzt er vor sich, und beschäftigt sich, so viel es an-
Auf der Straße haͤlt er sich, wenn er irgend kann, zu mir, und sagt mir dann mit großer Zutraulichkeit: daß er zu Hause recht fleißig waͤre. Jch werde meine Beobachtungen uͤber ihn fortsetzen; denn im Ganzen ist freilich Anlage da; aber sie ist noch zu wenig entwickelt und zu wenig sichtbar, als daß man mit einiger Sicherheit mehr schließen koͤnnte, als: er kann ein geschickter, gutmuͤthiger Mensch werden. ** von zwoͤlf bis dreizehn Jahren hat fuͤr sein Alter so viel Sonderbares, daß er sich vor vielen dadurch auszeichnet. Jn seinen Minen herrscht eine gewisse Einfalt, die aber schon vermuthen laͤßt, daß sie nicht das herrschende seines jetzigen Karakters allein ausmacht. Und so ist es auch. Seine Einfalt ist mit dem auffallendsten Eigensinn und Eigenduͤnkel verknuͤpft. Er ist dabei immer geschaͤftig, immer unruhig. Es fehlt ihm durchaus alles Gefaͤllige, wodurch er sich bei seinen Mitschuͤlern beliebt machen koͤnnte. Entweder sitzt er vor sich, und beschaͤftigt sich, so viel es an- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0126" n="126"/><lb/> Alter, dem ich es ebenfalls zutrauen wuͤrde. Allein ich glaubte doch: er haͤtte mich nicht recht verstanden, und fragte noch einmal: da wiederholte er dann die ganze Geschichte recht deutlich, und behauptete: er wuͤrde sich lieber noch einmal schlagen lassen, als daß er seinen kleinen Bruder schlagen wuͤrde.</p> <p>Auf der Straße haͤlt er sich, wenn er irgend kann, zu mir, und sagt mir dann mit großer Zutraulichkeit: daß er zu Hause recht fleißig waͤre.</p> <p>Jch werde meine Beobachtungen uͤber ihn fortsetzen; denn im Ganzen ist freilich Anlage da; aber sie ist noch zu wenig entwickelt und zu wenig sichtbar, als daß man mit einiger Sicherheit mehr schließen koͤnnte, als: er kann ein geschickter, gutmuͤthiger Mensch werden.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>** von zwoͤlf bis dreizehn Jahren hat fuͤr sein Alter so viel Sonderbares, daß er sich vor vielen dadurch auszeichnet. Jn seinen Minen herrscht eine gewisse Einfalt, die aber schon vermuthen laͤßt, daß sie nicht das herrschende seines jetzigen Karakters allein ausmacht. Und so ist es auch.</p> <p>Seine Einfalt ist mit dem auffallendsten Eigensinn und Eigenduͤnkel verknuͤpft. Er ist dabei immer geschaͤftig, immer unruhig. Es fehlt ihm durchaus alles Gefaͤllige, wodurch er sich bei seinen Mitschuͤlern beliebt machen koͤnnte. Entweder sitzt er vor sich, und beschaͤftigt sich, so viel es an-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0126]
Alter, dem ich es ebenfalls zutrauen wuͤrde. Allein ich glaubte doch: er haͤtte mich nicht recht verstanden, und fragte noch einmal: da wiederholte er dann die ganze Geschichte recht deutlich, und behauptete: er wuͤrde sich lieber noch einmal schlagen lassen, als daß er seinen kleinen Bruder schlagen wuͤrde.
Auf der Straße haͤlt er sich, wenn er irgend kann, zu mir, und sagt mir dann mit großer Zutraulichkeit: daß er zu Hause recht fleißig waͤre.
Jch werde meine Beobachtungen uͤber ihn fortsetzen; denn im Ganzen ist freilich Anlage da; aber sie ist noch zu wenig entwickelt und zu wenig sichtbar, als daß man mit einiger Sicherheit mehr schließen koͤnnte, als: er kann ein geschickter, gutmuͤthiger Mensch werden.
** von zwoͤlf bis dreizehn Jahren hat fuͤr sein Alter so viel Sonderbares, daß er sich vor vielen dadurch auszeichnet. Jn seinen Minen herrscht eine gewisse Einfalt, die aber schon vermuthen laͤßt, daß sie nicht das herrschende seines jetzigen Karakters allein ausmacht. Und so ist es auch.
Seine Einfalt ist mit dem auffallendsten Eigensinn und Eigenduͤnkel verknuͤpft. Er ist dabei immer geschaͤftig, immer unruhig. Es fehlt ihm durchaus alles Gefaͤllige, wodurch er sich bei seinen Mitschuͤlern beliebt machen koͤnnte. Entweder sitzt er vor sich, und beschaͤftigt sich, so viel es an-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/126>, abgerufen am 26.07.2024. |