Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Nach dem Geständniß, und während der Erwartung, zu welcher Genugthuung die menschliche Gerechtigkeit ihn verurtheilen werde, blieb er bei einem Betragen, das die Aufmerksamkeit des Menschenforschers auf sich zog. Er behielt eine gewisse Freimüthigkeit im Anblick und im Reden, und ein freundliches Lächeln in der Mine, das manchen, die es nicht begreifen konnten, Leichtsinn und Frechheit schien. Er blieb sich insgemein gleich, mochte wohl essen, und hatte einen guten ruhigen Schlaf, so daß von denen, die ihn am genauesten beobachten konnten, einstmals einer sagte, der Wachtmeister müsse ein sehr gutes Gewissen haben! ein Urtheil, das vermutlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes führen möchte, wenn wir ihm nachgehen könnten. Für Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn übrigens zeigten seine Reden und Erzählungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt hätte scheinen können. Noch weniger konnte er Nach dem Gestaͤndniß, und waͤhrend der Erwartung, zu welcher Genugthuung die menschliche Gerechtigkeit ihn verurtheilen werde, blieb er bei einem Betragen, das die Aufmerksamkeit des Menschenforschers auf sich zog. Er behielt eine gewisse Freimuͤthigkeit im Anblick und im Reden, und ein freundliches Laͤcheln in der Mine, das manchen, die es nicht begreifen konnten, Leichtsinn und Frechheit schien. Er blieb sich insgemein gleich, mochte wohl essen, und hatte einen guten ruhigen Schlaf, so daß von denen, die ihn am genauesten beobachten konnten, einstmals einer sagte, der Wachtmeister muͤsse ein sehr gutes Gewissen haben! ein Urtheil, das vermutlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes fuͤhren moͤchte, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten. Fuͤr Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn uͤbrigens zeigten seine Reden und Erzaͤhlungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt haͤtte scheinen koͤnnen. Noch weniger konnte er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0104" n="104"/><lb/> <p>Nach dem Gestaͤndniß, und waͤhrend der Erwartung, zu welcher Genugthuung die menschliche Gerechtigkeit ihn verurtheilen werde, blieb er bei einem Betragen, das die Aufmerksamkeit des Menschenforschers auf sich zog.</p> <p>Er behielt eine gewisse Freimuͤthigkeit im Anblick und im Reden, und ein freundliches Laͤcheln in der Mine, das manchen, die es nicht begreifen konnten, Leichtsinn und Frechheit schien.</p> <p>Er blieb sich insgemein gleich, mochte wohl essen, und hatte einen guten ruhigen Schlaf, so daß von denen, die ihn am genauesten beobachten konnten, einstmals einer sagte, der Wachtmeister muͤsse ein sehr gutes Gewissen haben! ein Urtheil, das vermutlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes fuͤhren moͤchte, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten.</p> <p>Fuͤr Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn uͤbrigens zeigten seine Reden und Erzaͤhlungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte.</p> <p>Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt haͤtte scheinen koͤnnen. Noch weniger konnte er<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0104]
Nach dem Gestaͤndniß, und waͤhrend der Erwartung, zu welcher Genugthuung die menschliche Gerechtigkeit ihn verurtheilen werde, blieb er bei einem Betragen, das die Aufmerksamkeit des Menschenforschers auf sich zog.
Er behielt eine gewisse Freimuͤthigkeit im Anblick und im Reden, und ein freundliches Laͤcheln in der Mine, das manchen, die es nicht begreifen konnten, Leichtsinn und Frechheit schien.
Er blieb sich insgemein gleich, mochte wohl essen, und hatte einen guten ruhigen Schlaf, so daß von denen, die ihn am genauesten beobachten konnten, einstmals einer sagte, der Wachtmeister muͤsse ein sehr gutes Gewissen haben! ein Urtheil, das vermutlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes fuͤhren moͤchte, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten.
Fuͤr Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn uͤbrigens zeigten seine Reden und Erzaͤhlungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte.
Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt haͤtte scheinen koͤnnen. Noch weniger konnte er
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/104>, abgerufen am 16.02.2025. |