Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.Darauf entblößte er sein Haupt und kniete nieder, Antons Vater neben ihm zur rechten, und Anton zur linken Seite. Freilich fand er nun alles, was ihm sein Vater gesagt hatte, mehr als zu wahr. Er glaubte wirklich neben einem der Apostel Christi zu knieen, und sein Herz erhob sich zu einer hohen Andacht, als der Greiß seine Hände ausbreitete, und mit wahrer Jnbrunst sein Gebet anhub, das er bald mit lauter, bald mit leiserer Stimme fortsetzte. Seine Worte waren, wie eines, der schon mit alle seinen Gedanken und Wünschen jenseit des Grabes ist, und den nur noch ein Zufall etwas länger, als er glaubte, disseits verweilen läßt. So waren auch alle seine Gedanken aus jenem Leben gleichsam herüber gehohlt, und so wie er betete, schienen sich seine Augen, und seine Stirne zu verklären. Sie standen vom Gebet auf, und Anton betrachtete nun den alten Mann in seinem Herzen beinahe schon wie ein höheres, übermenschliches Wesen; und als er den Abend zu Hause kam, wollte er schlechterdings mit einigen seiner Mitschüler sich nicht auf einem kleinen Schlitten im Schnee herumfahren, weil ihm dieß nun viel zu unheilig vorkam, und er den Tag dadurch zu entweihen glaubte. Sein Vater ließ ihn nun öfters zu diesem alten Manne gehen, und er brachte fast die ganze Zeit des Tages bei ihm zu, die er nicht in der Schule war. Darauf entbloͤßte er sein Haupt und kniete nieder, Antons Vater neben ihm zur rechten, und Anton zur linken Seite. Freilich fand er nun alles, was ihm sein Vater gesagt hatte, mehr als zu wahr. Er glaubte wirklich neben einem der Apostel Christi zu knieen, und sein Herz erhob sich zu einer hohen Andacht, als der Greiß seine Haͤnde ausbreitete, und mit wahrer Jnbrunst sein Gebet anhub, das er bald mit lauter, bald mit leiserer Stimme fortsetzte. Seine Worte waren, wie eines, der schon mit alle seinen Gedanken und Wuͤnschen jenseit des Grabes ist, und den nur noch ein Zufall etwas laͤnger, als er glaubte, disseits verweilen laͤßt. So waren auch alle seine Gedanken aus jenem Leben gleichsam heruͤber gehohlt, und so wie er betete, schienen sich seine Augen, und seine Stirne zu verklaͤren. Sie standen vom Gebet auf, und Anton betrachtete nun den alten Mann in seinem Herzen beinahe schon wie ein hoͤheres, uͤbermenschliches Wesen; und als er den Abend zu Hause kam, wollte er schlechterdings mit einigen seiner Mitschuͤler sich nicht auf einem kleinen Schlitten im Schnee herumfahren, weil ihm dieß nun viel zu unheilig vorkam, und er den Tag dadurch zu entweihen glaubte. Sein Vater ließ ihn nun oͤfters zu diesem alten Manne gehen, und er brachte fast die ganze Zeit des Tages bei ihm zu, die er nicht in der Schule war. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0095" n="93"/><lb/> <p>Darauf entbloͤßte er sein Haupt und kniete nieder, Antons Vater neben ihm zur rechten, und Anton zur linken Seite. </p> <p>Freilich fand er nun alles, was ihm sein Vater gesagt hatte, mehr als zu wahr. Er glaubte wirklich neben einem der Apostel Christi zu knieen, und sein Herz erhob sich zu einer hohen Andacht, als der Greiß seine Haͤnde ausbreitete, und mit wahrer Jnbrunst sein Gebet anhub, das er bald mit lauter, bald mit leiserer Stimme fortsetzte. </p> <p>Seine Worte waren, wie eines, der schon mit alle seinen Gedanken und Wuͤnschen jenseit des Grabes ist, und den nur noch ein Zufall etwas laͤnger, als er glaubte, disseits verweilen laͤßt. </p> <p>So waren auch alle seine Gedanken aus jenem Leben gleichsam heruͤber gehohlt, und so wie er betete, schienen sich seine Augen, und seine Stirne zu verklaͤren. </p> <p>Sie standen vom Gebet auf, und Anton betrachtete nun den alten Mann in seinem Herzen beinahe schon wie ein hoͤheres, uͤbermenschliches Wesen; und als er den Abend zu Hause kam, wollte er schlechterdings mit einigen seiner Mitschuͤler sich nicht auf einem kleinen Schlitten im Schnee herumfahren, weil ihm dieß nun viel zu unheilig vorkam, und er den Tag dadurch zu entweihen glaubte. </p> <p>Sein Vater ließ ihn nun oͤfters zu diesem alten Manne gehen, und er brachte fast die ganze Zeit des Tages bei ihm zu, die er nicht in der Schule war. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0095]
Darauf entbloͤßte er sein Haupt und kniete nieder, Antons Vater neben ihm zur rechten, und Anton zur linken Seite.
Freilich fand er nun alles, was ihm sein Vater gesagt hatte, mehr als zu wahr. Er glaubte wirklich neben einem der Apostel Christi zu knieen, und sein Herz erhob sich zu einer hohen Andacht, als der Greiß seine Haͤnde ausbreitete, und mit wahrer Jnbrunst sein Gebet anhub, das er bald mit lauter, bald mit leiserer Stimme fortsetzte.
Seine Worte waren, wie eines, der schon mit alle seinen Gedanken und Wuͤnschen jenseit des Grabes ist, und den nur noch ein Zufall etwas laͤnger, als er glaubte, disseits verweilen laͤßt.
So waren auch alle seine Gedanken aus jenem Leben gleichsam heruͤber gehohlt, und so wie er betete, schienen sich seine Augen, und seine Stirne zu verklaͤren.
Sie standen vom Gebet auf, und Anton betrachtete nun den alten Mann in seinem Herzen beinahe schon wie ein hoͤheres, uͤbermenschliches Wesen; und als er den Abend zu Hause kam, wollte er schlechterdings mit einigen seiner Mitschuͤler sich nicht auf einem kleinen Schlitten im Schnee herumfahren, weil ihm dieß nun viel zu unheilig vorkam, und er den Tag dadurch zu entweihen glaubte.
Sein Vater ließ ihn nun oͤfters zu diesem alten Manne gehen, und er brachte fast die ganze Zeit des Tages bei ihm zu, die er nicht in der Schule war.
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