Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Anderthalb Stunden brauchte der Unglückliche, nach seinem eigenen Bekenntniß, zu einem ihm höchstbekannten Wege, von einer kleinen halben Stunde; ein Umstand, der nicht zu erklären steht, wenn wir uns nicht vorstellen, daß ihn der Sturm seiner Affekten und der Kampf in seiner Seele mehrmals aufgehalten und zum Stillstehn gebracht habe. So fehlte es ihm nicht an Erinnerungen; so war es noch möglich, daß er in sich und zurücke gieng! Jch kann es ihm glauben, was er erzählt, daß, ob er gleich die Absicht gehabt habe, seinen Schwager und seine Schwägerin, aber nicht ihr unschuldiges Kind, zu ermorden, er es doch immer noch dabei auf ein Ungefähr habe ankommen lassen. "Jch würde, sagte er selbst, wenigstens dießmal, vielleicht aber auch aufs künftige mich bedacht haben, und von meinem Vorhaben abgestanden seyn, wenn mir jemand beim Weggehen aus meinem Hause, oder ein Wächter
Anderthalb Stunden brauchte der Ungluͤckliche, nach seinem eigenen Bekenntniß, zu einem ihm hoͤchstbekannten Wege, von einer kleinen halben Stunde; ein Umstand, der nicht zu erklaͤren steht, wenn wir uns nicht vorstellen, daß ihn der Sturm seiner Affekten und der Kampf in seiner Seele mehrmals aufgehalten und zum Stillstehn gebracht habe. So fehlte es ihm nicht an Erinnerungen; so war es noch moͤglich, daß er in sich und zuruͤcke gieng! Jch kann es ihm glauben, was er erzaͤhlt, daß, ob er gleich die Absicht gehabt habe, seinen Schwager und seine Schwaͤgerin, aber nicht ihr unschuldiges Kind, zu ermorden, er es doch immer noch dabei auf ein Ungefaͤhr habe ankommen lassen. »Jch wuͤrde, sagte er selbst, wenigstens dießmal, vielleicht aber auch aufs kuͤnftige mich bedacht haben, und von meinem Vorhaben abgestanden seyn, wenn mir jemand beim Weggehen aus meinem Hause, oder ein Waͤchter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052" n="50"/><lb/> und ging, zu seinem Verderben, auf das zweite Stockwerk allein zu schlafen. Der Vorsatz, die Mordthat zu veruͤben, drang sich immer mehr in seiner Seele vor; er faßte den Entschluß, und machte Anstalten dazu, doch alles noch mit innerlichem Widerspruch und Widerstreben. Er gerieth daruͤber in einen Schlummer, fuhr aber aus denselben, wie er erzaͤhlte, gegen 11 Uhr, ploͤtzlich und voll von einer Wuth auf, die ihn so gedraͤngt, daß er sich nicht zu helfen gewußt haͤtte, und wie verduͤstert zu der Ausfuͤhrung fortgegangen sei. </p> <p>Anderthalb Stunden brauchte der Ungluͤckliche, nach seinem eigenen Bekenntniß, zu einem ihm hoͤchstbekannten Wege, von einer kleinen halben Stunde; ein Umstand, der nicht zu erklaͤren steht, wenn wir uns nicht vorstellen, daß ihn der Sturm seiner Affekten und der Kampf in seiner Seele mehrmals aufgehalten und zum Stillstehn gebracht habe. So fehlte es ihm nicht an Erinnerungen; so war es noch moͤglich, daß er in sich und zuruͤcke gieng! Jch kann es ihm glauben, was er erzaͤhlt, daß, ob er gleich die Absicht gehabt habe, seinen Schwager und seine Schwaͤgerin, aber nicht ihr unschuldiges Kind, zu ermorden, er es doch immer noch dabei auf ein Ungefaͤhr habe ankommen lassen. »Jch wuͤrde, sagte er selbst, wenigstens dießmal, vielleicht aber auch aufs kuͤnftige mich bedacht haben, und von meinem Vorhaben abgestanden seyn, wenn mir jemand beim Weggehen aus meinem Hause, oder ein Waͤchter<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0052]
und ging, zu seinem Verderben, auf das zweite Stockwerk allein zu schlafen. Der Vorsatz, die Mordthat zu veruͤben, drang sich immer mehr in seiner Seele vor; er faßte den Entschluß, und machte Anstalten dazu, doch alles noch mit innerlichem Widerspruch und Widerstreben. Er gerieth daruͤber in einen Schlummer, fuhr aber aus denselben, wie er erzaͤhlte, gegen 11 Uhr, ploͤtzlich und voll von einer Wuth auf, die ihn so gedraͤngt, daß er sich nicht zu helfen gewußt haͤtte, und wie verduͤstert zu der Ausfuͤhrung fortgegangen sei.
Anderthalb Stunden brauchte der Ungluͤckliche, nach seinem eigenen Bekenntniß, zu einem ihm hoͤchstbekannten Wege, von einer kleinen halben Stunde; ein Umstand, der nicht zu erklaͤren steht, wenn wir uns nicht vorstellen, daß ihn der Sturm seiner Affekten und der Kampf in seiner Seele mehrmals aufgehalten und zum Stillstehn gebracht habe. So fehlte es ihm nicht an Erinnerungen; so war es noch moͤglich, daß er in sich und zuruͤcke gieng! Jch kann es ihm glauben, was er erzaͤhlt, daß, ob er gleich die Absicht gehabt habe, seinen Schwager und seine Schwaͤgerin, aber nicht ihr unschuldiges Kind, zu ermorden, er es doch immer noch dabei auf ein Ungefaͤhr habe ankommen lassen. »Jch wuͤrde, sagte er selbst, wenigstens dießmal, vielleicht aber auch aufs kuͤnftige mich bedacht haben, und von meinem Vorhaben abgestanden seyn, wenn mir jemand beim Weggehen aus meinem Hause, oder ein Waͤchter
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/52>, abgerufen am 16.02.2025. |