Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.V. Geschichte eines Hofmeisters oder die traurigen Folgen einer melancholischen Gemüthsart bei einem Erzieher. ![]() Zu Michaelis 1781 hatte ich einen Auftrag, für einen Mann, den ich kenne und schätze, einen Hofmeister für seine Kinder und für noch einen Knaben, der ihm vom Lande zur Erziehung übergeben war, zu besorgen. Es fand sich endlich jemand, den ich zwar selbst nicht kannte, der mir aber von seinem Verwandten, einem rechtschaffenen Mann, als ein guter und geschickter Pädagoge geschildert wurde, und besonders ward er mir von der Seite gerühmt, daß er viel Geduld besitze. Jch erhielt auch bald nach seiner Ankunft die Versichrung, daß man mit diesem Manne zufrieden sei, und daß er sich in seine Lage gut zu schicken wisse. Allein dieß währte nicht lange. Der folgende Brief schildert den so sonderbaren und gemischten Karakter dieses Hofmeisters, daß ich ihn wohl des weitern Nachdenkens werth halte. Jch lasse den Mann, der ihn schildert, selbst reden, und wenn man etwa hie und da einen Ausdruck finden wollte, der vielleicht dem kaltblütigen Leser einigermaßen zu hart oder zu wenig ausgeschmückt zu sein scheint; so bedenke man, daß dieser Brief nicht zum Druck selbst, wozu ich nun Erlaubniß habe, geschrieben war, und man wird V. Geschichte eines Hofmeisters oder die traurigen Folgen einer melancholischen Gemuͤthsart bei einem Erzieher. ![]() Zu Michaelis 1781 hatte ich einen Auftrag, fuͤr einen Mann, den ich kenne und schaͤtze, einen Hofmeister fuͤr seine Kinder und fuͤr noch einen Knaben, der ihm vom Lande zur Erziehung uͤbergeben war, zu besorgen. Es fand sich endlich jemand, den ich zwar selbst nicht kannte, der mir aber von seinem Verwandten, einem rechtschaffenen Mann, als ein guter und geschickter Paͤdagoge geschildert wurde, und besonders ward er mir von der Seite geruͤhmt, daß er viel Geduld besitze. Jch erhielt auch bald nach seiner Ankunft die Versichrung, daß man mit diesem Manne zufrieden sei, und daß er sich in seine Lage gut zu schicken wisse. Allein dieß waͤhrte nicht lange. Der folgende Brief schildert den so sonderbaren und gemischten Karakter dieses Hofmeisters, daß ich ihn wohl des weitern Nachdenkens werth halte. Jch lasse den Mann, der ihn schildert, selbst reden, und wenn man etwa hie und da einen Ausdruck finden wollte, der vielleicht dem kaltbluͤtigen Leser einigermaßen zu hart oder zu wenig ausgeschmuͤckt zu sein scheint; so bedenke man, daß dieser Brief nicht zum Druck selbst, wozu ich nun Erlaubniß habe, geschrieben war, und man wird <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0022" n="20"/><lb/><lb/> </div> <div n="2"> <head><hi rendition="#aq">V</hi>.<lb/> Geschichte eines Hofmeisters oder die traurigen Folgen einer melancholischen Gemuͤthsart bei einem Erzieher.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref88"><note type="editorial"/>Seidel, Johann Friedrich</persName> </bibl> </note> <p>Zu Michaelis 1781 hatte ich einen Auftrag, fuͤr einen Mann, den ich kenne und schaͤtze, einen Hofmeister fuͤr seine Kinder und fuͤr noch einen Knaben, der ihm vom Lande zur Erziehung uͤbergeben war, zu besorgen. Es fand sich endlich jemand, den ich zwar selbst nicht kannte, der mir aber von seinem Verwandten, einem rechtschaffenen Mann, als ein guter und geschickter Paͤdagoge geschildert wurde, und besonders ward er mir von der Seite geruͤhmt, daß er viel Geduld besitze. Jch erhielt auch bald nach seiner Ankunft die Versichrung, daß man mit diesem Manne zufrieden sei, und daß er sich in seine Lage gut zu schicken wisse. Allein dieß waͤhrte nicht lange. Der folgende Brief schildert den so sonderbaren und gemischten Karakter dieses Hofmeisters, daß ich ihn wohl des weitern Nachdenkens werth halte. Jch lasse den Mann, der ihn schildert, selbst reden, und wenn man etwa hie und da einen Ausdruck finden wollte, der vielleicht dem kaltbluͤtigen Leser einigermaßen zu hart oder zu wenig ausgeschmuͤckt zu sein scheint; so bedenke man, daß dieser Brief nicht zum Druck selbst, wozu ich nun Erlaubniß habe, geschrieben war, und man wird<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0022]
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Geschichte eines Hofmeisters oder die traurigen Folgen einer melancholischen Gemuͤthsart bei einem Erzieher.
Zu Michaelis 1781 hatte ich einen Auftrag, fuͤr einen Mann, den ich kenne und schaͤtze, einen Hofmeister fuͤr seine Kinder und fuͤr noch einen Knaben, der ihm vom Lande zur Erziehung uͤbergeben war, zu besorgen. Es fand sich endlich jemand, den ich zwar selbst nicht kannte, der mir aber von seinem Verwandten, einem rechtschaffenen Mann, als ein guter und geschickter Paͤdagoge geschildert wurde, und besonders ward er mir von der Seite geruͤhmt, daß er viel Geduld besitze. Jch erhielt auch bald nach seiner Ankunft die Versichrung, daß man mit diesem Manne zufrieden sei, und daß er sich in seine Lage gut zu schicken wisse. Allein dieß waͤhrte nicht lange. Der folgende Brief schildert den so sonderbaren und gemischten Karakter dieses Hofmeisters, daß ich ihn wohl des weitern Nachdenkens werth halte. Jch lasse den Mann, der ihn schildert, selbst reden, und wenn man etwa hie und da einen Ausdruck finden wollte, der vielleicht dem kaltbluͤtigen Leser einigermaßen zu hart oder zu wenig ausgeschmuͤckt zu sein scheint; so bedenke man, daß dieser Brief nicht zum Druck selbst, wozu ich nun Erlaubniß habe, geschrieben war, und man wird
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/22>, abgerufen am 22.07.2024. |