Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.IV. Ein sonderbarer Hang zum Stehlen. Voriges Jahr ließ sich ein Rekrut bei dem Grenadierbattaillon von Scholten an der sächsischen Gränze wieder engagiren. Er gab vor: zuletzt aus der Vestung Schweidnitz desertirt zu seyn, und bei verschiedenen Regimentern gedient zu haben, wo er immer von einem an das andere abgegeben worden. Man versprach sich anfänglich nicht viel Gutes davon. Allein er hielt sich einige Monath sehr ordentlich, machte keine Excesse, war kein Säufer, verrichtete seinen Dienst, und hatte überdieß eine gute Gestalt und Positur. Endlich wurde er wegen einiger unbedeutender Diebstähle zur Verantwortung gezogen. An einem Ort nahm er einen Hammer und warf ihn auf die Straße, wo er sich nicht weiter darum bekümmerte, bis ihn endlich ein paar Tage drauf der Geldmangel nöthigte, ihn wieder aufzuheben und zu verkaufen, wodurch seine Dieberei entdeckt wurde. Bei einem Kaufmann nahm er ein halb Pfund Gewicht, welches man noch bei ihm fand. Er gestand im Verhör, daß weder Liederlichkeit noch Noth ihn zum Stehlen reitzten, welches auch Zeugenaussagen und andere Umstände bewiesen; allein er hätte einen unwiderstehlichen Hang, Dinge, die er oft gar nicht zu nützen wüßte, zu stehlen. Der Paroxismus überfiel ihn mit Zittern und entsetzlicher Angst, und er wäre nicht ehr IV. Ein sonderbarer Hang zum Stehlen. Voriges Jahr ließ sich ein Rekrut bei dem Grenadierbattaillon von Scholten an der saͤchsischen Graͤnze wieder engagiren. Er gab vor: zuletzt aus der Vestung Schweidnitz desertirt zu seyn, und bei verschiedenen Regimentern gedient zu haben, wo er immer von einem an das andere abgegeben worden. Man versprach sich anfaͤnglich nicht viel Gutes davon. Allein er hielt sich einige Monath sehr ordentlich, machte keine Excesse, war kein Saͤufer, verrichtete seinen Dienst, und hatte uͤberdieß eine gute Gestalt und Positur. Endlich wurde er wegen einiger unbedeutender Diebstaͤhle zur Verantwortung gezogen. An einem Ort nahm er einen Hammer und warf ihn auf die Straße, wo er sich nicht weiter darum bekuͤmmerte, bis ihn endlich ein paar Tage drauf der Geldmangel noͤthigte, ihn wieder aufzuheben und zu verkaufen, wodurch seine Dieberei entdeckt wurde. Bei einem Kaufmann nahm er ein halb Pfund Gewicht, welches man noch bei ihm fand. Er gestand im Verhoͤr, daß weder Liederlichkeit noch Noth ihn zum Stehlen reitzten, welches auch Zeugenaussagen und andere Umstaͤnde bewiesen; allein er haͤtte einen unwiderstehlichen Hang, Dinge, die er oft gar nicht zu nuͤtzen wuͤßte, zu stehlen. Der Paroxismus uͤberfiel ihn mit Zittern und entsetzlicher Angst, und er waͤre nicht ehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0020" n="18"/><lb/><lb/> </div> <div n="2"> <head><hi rendition="#aq">IV</hi>.<lb/> Ein sonderbarer Hang zum Stehlen.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref106"><note type="editorial"/>Nencke, Karl Christoph</persName> </bibl> </note> <p>Voriges Jahr ließ sich ein Rekrut bei dem Grenadierbattaillon von Scholten an der saͤchsischen Graͤnze wieder engagiren. Er gab vor: zuletzt aus der Vestung Schweidnitz desertirt zu seyn, und bei verschiedenen Regimentern gedient zu haben, wo er immer von einem an das andere abgegeben worden. Man versprach sich anfaͤnglich nicht viel Gutes davon. Allein er hielt sich einige Monath sehr ordentlich, machte keine Excesse, war kein Saͤufer, verrichtete seinen Dienst, und hatte uͤberdieß eine gute Gestalt und Positur. Endlich wurde er wegen einiger unbedeutender Diebstaͤhle zur Verantwortung gezogen. An einem Ort nahm er einen Hammer und warf ihn auf die Straße, wo er sich nicht weiter darum bekuͤmmerte, bis ihn endlich ein paar Tage drauf der Geldmangel noͤthigte, ihn wieder aufzuheben und zu verkaufen, wodurch seine Dieberei entdeckt wurde. Bei einem Kaufmann nahm er ein halb Pfund Gewicht, welches man noch bei ihm fand. Er gestand im Verhoͤr, daß weder Liederlichkeit noch Noth ihn zum Stehlen reitzten, welches auch Zeugenaussagen und andere Umstaͤnde bewiesen; allein er haͤtte einen unwiderstehlichen Hang, Dinge, die er oft gar nicht zu nuͤtzen wuͤßte, zu stehlen. Der Paroxismus uͤberfiel ihn mit Zittern und entsetzlicher Angst, und er waͤre nicht ehr<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [18/0020]
IV.
Ein sonderbarer Hang zum Stehlen.
Voriges Jahr ließ sich ein Rekrut bei dem Grenadierbattaillon von Scholten an der saͤchsischen Graͤnze wieder engagiren. Er gab vor: zuletzt aus der Vestung Schweidnitz desertirt zu seyn, und bei verschiedenen Regimentern gedient zu haben, wo er immer von einem an das andere abgegeben worden. Man versprach sich anfaͤnglich nicht viel Gutes davon. Allein er hielt sich einige Monath sehr ordentlich, machte keine Excesse, war kein Saͤufer, verrichtete seinen Dienst, und hatte uͤberdieß eine gute Gestalt und Positur. Endlich wurde er wegen einiger unbedeutender Diebstaͤhle zur Verantwortung gezogen. An einem Ort nahm er einen Hammer und warf ihn auf die Straße, wo er sich nicht weiter darum bekuͤmmerte, bis ihn endlich ein paar Tage drauf der Geldmangel noͤthigte, ihn wieder aufzuheben und zu verkaufen, wodurch seine Dieberei entdeckt wurde. Bei einem Kaufmann nahm er ein halb Pfund Gewicht, welches man noch bei ihm fand. Er gestand im Verhoͤr, daß weder Liederlichkeit noch Noth ihn zum Stehlen reitzten, welches auch Zeugenaussagen und andere Umstaͤnde bewiesen; allein er haͤtte einen unwiderstehlichen Hang, Dinge, die er oft gar nicht zu nuͤtzen wuͤßte, zu stehlen. Der Paroxismus uͤberfiel ihn mit Zittern und entsetzlicher Angst, und er waͤre nicht ehr
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