Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Wir hatten die Kinder fast stets um uns, wenn sie nicht bei ihren Lehrern sein mußten; wir haben ihnen das Lesen meist beigebracht; alsdenn übten wir sie, daß sie wechselsweise uns ein Lied, einen Psalm, oder einige Seiten aus einem guten Buche vorlesen mußten. Wir lehreten sie ein Lied mitsingen, und fragten sie darüber; bis die mittelste so viel auf dem Clavier spielen konnte, daß sie alle die Töne leichter hielten. Gellerts Lieder und andre unschuldige Arien -- lernten sie auswendig. Die weibliche Geschicklichkeit besorgte die Mutter, so treu und unermüdet, als sie selbst aus eigner Erfahrung, zumal bei ihrer Tante in Salfeld, diese Erziehung wuste. So war in unserm Zirkel lauter Ruhe und Zufriedenheit; das Gesinde sahe und hörte nichts zweideutiges, geschweige eine Unordnung; jedes fühlte die Ueberlegtheit der Frau in allen vorkommenden Geschäften; jedes unsre gleiche Liebe und Uebereinstimmung; in allen blos häuslichen Sachen hieng
Wir hatten die Kinder fast stets um uns, wenn sie nicht bei ihren Lehrern sein mußten; wir haben ihnen das Lesen meist beigebracht; alsdenn uͤbten wir sie, daß sie wechselsweise uns ein Lied, einen Psalm, oder einige Seiten aus einem guten Buche vorlesen mußten. Wir lehreten sie ein Lied mitsingen, und fragten sie daruͤber; bis die mittelste so viel auf dem Clavier spielen konnte, daß sie alle die Toͤne leichter hielten. Gellerts Lieder und andre unschuldige Arien ― lernten sie auswendig. Die weibliche Geschicklichkeit besorgte die Mutter, so treu und unermuͤdet, als sie selbst aus eigner Erfahrung, zumal bei ihrer Tante in Salfeld, diese Erziehung wuste. So war in unserm Zirkel lauter Ruhe und Zufriedenheit; das Gesinde sahe und hoͤrte nichts zweideutiges, geschweige eine Unordnung; jedes fuͤhlte die Ueberlegtheit der Frau in allen vorkommenden Geschaͤften; jedes unsre gleiche Liebe und Uebereinstimmung; in allen blos haͤuslichen Sachen hieng <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <floatingText xml:id="f01" next="#f02"> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0109" n="107"/><lb/> Eltern mit gemeinschaftlicher Treue unterzogen; wenn wir gleich die besondere Unterweisung in einzelnen Stunden, einigen ausgesuchten Studiosis anvertrauet haben. Es haben schon mehr verstaͤndige Maͤnner sich hierin selbst mehr auf Erfahrung, als auf Speculationen eingelassen, wobei gemeiniglich die ersten Proben noch mißlingen; oder noch nicht eben klar am Tage liegen. </p> <p>Wir hatten die Kinder fast stets um uns, wenn sie nicht bei ihren Lehrern sein mußten; wir haben ihnen das Lesen meist beigebracht; alsdenn uͤbten wir sie, daß sie wechselsweise uns ein Lied, einen Psalm, oder einige Seiten aus einem guten Buche vorlesen mußten. Wir lehreten sie ein Lied mitsingen, und fragten sie daruͤber; bis die mittelste so viel auf dem Clavier spielen konnte, daß sie alle die Toͤne leichter hielten. Gellerts Lieder und andre unschuldige Arien ― lernten sie auswendig. </p> <p>Die weibliche Geschicklichkeit besorgte die Mutter, so treu und unermuͤdet, als sie selbst aus eigner Erfahrung, zumal bei ihrer Tante in Salfeld, diese Erziehung wuste. </p> <p>So war in unserm Zirkel lauter Ruhe und Zufriedenheit; das Gesinde sahe und hoͤrte nichts zweideutiges, geschweige eine Unordnung; jedes fuͤhlte die Ueberlegtheit der Frau in allen vorkommenden Geschaͤften; jedes unsre gleiche Liebe und Uebereinstimmung; in allen blos haͤuslichen Sachen hieng<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0109]
Eltern mit gemeinschaftlicher Treue unterzogen; wenn wir gleich die besondere Unterweisung in einzelnen Stunden, einigen ausgesuchten Studiosis anvertrauet haben. Es haben schon mehr verstaͤndige Maͤnner sich hierin selbst mehr auf Erfahrung, als auf Speculationen eingelassen, wobei gemeiniglich die ersten Proben noch mißlingen; oder noch nicht eben klar am Tage liegen.
Wir hatten die Kinder fast stets um uns, wenn sie nicht bei ihren Lehrern sein mußten; wir haben ihnen das Lesen meist beigebracht; alsdenn uͤbten wir sie, daß sie wechselsweise uns ein Lied, einen Psalm, oder einige Seiten aus einem guten Buche vorlesen mußten. Wir lehreten sie ein Lied mitsingen, und fragten sie daruͤber; bis die mittelste so viel auf dem Clavier spielen konnte, daß sie alle die Toͤne leichter hielten. Gellerts Lieder und andre unschuldige Arien ― lernten sie auswendig.
Die weibliche Geschicklichkeit besorgte die Mutter, so treu und unermuͤdet, als sie selbst aus eigner Erfahrung, zumal bei ihrer Tante in Salfeld, diese Erziehung wuste.
So war in unserm Zirkel lauter Ruhe und Zufriedenheit; das Gesinde sahe und hoͤrte nichts zweideutiges, geschweige eine Unordnung; jedes fuͤhlte die Ueberlegtheit der Frau in allen vorkommenden Geschaͤften; jedes unsre gleiche Liebe und Uebereinstimmung; in allen blos haͤuslichen Sachen hieng
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/109>, abgerufen am 16.02.2025. |